Rezension

Tiefgründiges Roadmovie mit wunderbarem Schreibstil

Liebten wir
von Nina Blazon

Bewertet mit 4.5 Sternen

Alles wonach sie sich so dringend sehnt, ist eine Familie. Und endlich scheint sie diese auch gefunden zu haben.
Doch stattdessen bekommt sie etwas, womit sie gar nicht gerechnet hat.

Moira ist eine talentierte Fotografin und am liebsten macht sie Bilder von anderen Menschen, um ihnen ihre Geheimnisse zu entlocken. Ohne diesen Schutzschild fühlt sie sich nicht selten hilflos und ausgeliefert, vor allem was ihre Gefühle und Ängste angeht, die sie mit anderen verbindet. Mit ihrem Leon scheint sie endlich angekommen zu sein und besonders in seine Familie hat sie hohe Erwartungen.
Aber das erste Treffen endet in einer völligen Katastrophe und ihr bleibt nur noch die Flucht nach vorne. Dumm nur, dass sie gezwungen wird, Aino, die Großmutter ihres Freundes, mitzunehmen und jene auch noch darauf besteht, nach Helsinki zu reisen.
Und plötzlich befindet sie sich mit einer Fremden auf dem Weg nach Finnland und lernt nicht nur ihre Begleiterin besser kennen, sondern auch sich selbst.

 

Ein neues Buch von Nina Blazon und noch dazu eines ohne Fantasyelemente? Das hat mich sofort gereizt und ich wollte den Titel unbedingt lesen. Er hat mich wirklich nicht enttäuscht, sondern meine Erwartungen zum größten Teil erfüllt.
Ich muss gestehen, die Figuren haben wirklich etwas ganz eigenes, das man mögen muss. Mit Mo musste ich erst einmal warm werden, bevor ich mich ganz in sie hineinversetzen konnte. Doch dann konnte ich gar nicht mehr aufhören damit und ihre emotionale Achterbahnfahrt hat mich durch die ganze Geschichte hindurch mitgerissen. Man erkennt bald, wie vielschichtig sie ist, was sie wirklich antreibt und warum sie so handelt und auf bestimmte Situationen und Menschen so reagiert. Die Entwicklung, die sie durchmacht, ist mit viel Fingerspitzengefühl und ohne die Holzhammermethode geschrieben, die einem Leser keinen Spielraum für eigene Interpretationen lässt. So leidet und liebt man ab einem bestimmten Zeitpunkt immer mit ihr bis zum Schluss.
Unterstützt wird sie von sehr lebendigen und speziellen Nebencharakteren, die zwar oft nicht sehr sympathisch, aber dafür auch keine platten Stereotypen sind, allem voran Aino, der perfekte Gegenpol zu Mo. Keiner von ihnen ist vollkommen, sondern voller Fehler, ungelöster Geheimnisse und menschlicher Beweggründe, die sich nicht alle erschließen, was wirklich realistisch gestaltet ist.

 

Der Schreibstil ist wie die Protagonisten etwas Besonderes, kraftvoll mit ungewöhnlichen, aber stimmigen Vergleichen, einem trockenen, nie zu plumpen Humor und gespickt mit so anschaulichen Bildern, dass man sich nicht nur die Schauplätze erstaunlich gut vorstellen, sondern auch die Empfindungen der Hauptheldin spürbar nachvollziehen kann. Die Kulisse Finnland passt da perfekt dazu und wird mit seinem Lokalkolorit und allen Eigenheiten genial eingebunden. Man erfährt einiges über das Land, seine Bewohner und die Hauptstadt Helsinki, was häufig mit einem Augenzwinkern, aber nie abfällig porträtiert wird. Ich habe sofort selbst Lust bekommen, mal dorthin zu reisen und die beschriebenen Sehenswürdigkeiten kennenzulernen.
Die eigentliche Handlung konnte mich mit ihren verrückten Szenen und unerwarteten Wendungen in ihren Bann ziehen. Am Anfang braucht sie ein paar Kapitel, um in die Gänge zu kommen und auf den letzten hundert Seiten überschlagen sich die Ereignissen für meinen Geschmack ein wenig zu sehr, gerade was das Aufdecken neuer Zusammenhänge angeht, während anderes, wesentlich Wichtigeres bis zum Ende im Unklaren gelassen wird.

Fazit
 

Nina Blazons Ausflug in die Sparte Erwachsenenliteratur ist meiner Meinung nach mit Liebten wir wunderbar geglückt. Ihre ganz eigenen Figuren voller Tiefe und realistisch gestalteten Wesenszügen, der humorvolle, bildliche und zugleich emotional sehr kraftvolle Schreibstil, die zur Atmosphäre passende Szenerie und die mit verrückten Begebenheiten und unerwarteten Wendungen gespickte Handlung sprechen auf alle Fälle für das Buch.
Nur manches Interessante bleibt weiterhin im Dunkeln und die Längen zu Anfang erschweren den Einstieg ein wenig.
Wer die Werke der Autorin wegen ihrer Besonderheiten schätzt, das skandinavische Flair liebt und sich gerne von ungewöhnlichen Charakteren mitreißen lässt, der sollte diesen Roman einmal näher ins Auge fassen.