Rezension

Till - Tyll, ein Narr, der uns einen Spiegel vorhält

Tyll - Daniel Kehlmann

Tyll
von Daniel Kehlmann

Lange habe ich gewartet, bis ich dieses Buch endlich in der Bibliothek erwischt habe - ständig war es ausgeliehen. Kein Wunder, steht es doch seit Monaten auf der Spiegel-Bestsellerliste. Das Warten hat sich gelohnt: Wieder liefert Kehlmann einen Roman, in dem ein vergangenes Zeitalter lebendig wird.

Till Eulenspiegel, der Gaukler, der die Menschen an der Nase herumführt und sich über sie lustig macht, wenn er ihre Sprüche wörtlich nimmt - und der ihnen einen Spiegel vorhält, in dem sie ihre Eitelkeiten erkennen können, wenn sie denn dazu bereit sind: Diese Figur hat Kehlmann als Tyll in das 17. Jahrhundert versetzt, in den Dreißigjährigen Krieg. Doch Kehlmann schreibt keine Biographie, wir folgen dem Leben Tylls nicht chronologisch. Acht Kapitel hat das Buch, in jedem taucht Tyll auf, doch steht er nicht immer im Mittelpunkt. Im ersten Kapitel ist es das einfache Dorfmädchen Martha, im letzten Elisabeth von Böhmen, die Enkelin von Maria Stuart und Ehefrau des "Winterkönigs" Friedrich. Arme und Reiche, Einfache und Gebildete, Untertanen und Herrscher - ein buntes Kaleidoskop dreht sich. Es erinnert an den Totentanz, in denen der Tod sich ganz unterschiedliche Menschen holt. Und der Tod spielt in diesem Buch eine große Rolle: Wenn Tylls Vater, ein fragender Geist und Naturbeobachter, als Hexer angeklagt wird, wenn das Schlachtfeld von Zusmarshausen von einem Beobachter beschrieben wird, dem die Wort dafür fehlen und der sich stattdessen bei der Beschreibung einer anderen Schlacht in einem Buch "bedient", wenn Leichenberge namenloser Soldaten und ebenso von Kleinkindern geschildert werden, dann wird der Leser doch sehr gefordert. Kehlmann beschreibt Krieg und damit die Folgen von Religionsfanatismus, von Standesdünkel, von Ignoranz. Vor vierhundert Jahren hat der Dreißigjährige Krieg begonnen, doch überwunden sind die Bedingungen nicht, die zu ihm geführt haben. In diesem Sinne mag "Tyll" zwar in einem anderen Jahrhundert angesiedelt sein, doch können wir auch heute jemanden brauchen, der uns nicht einfach nur unterhält, sondern uns auch Wahrheiten vor Augen führt, die unbequem sind. Manche dieser Mahner gelten auch heutzutage noch als Narren.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 19. August 2018 um 22:10

Die Welt ist zu kompliziert geworden. Man könnte sie  auf Steinzeit zurückdrehen, alles andere hilft eigentlich nicht.

FIRIEL kommentierte am 20. August 2018 um 21:11

Aber ob das helfen würde? Der menschliche Faktor bleibt. Es gäbe halt nur Faustkeile und keine Atombomben, also kann man nur einen Menschen gleichzeitig töten. Für den ist das aber ziemlich unerheblich; tot bleibt tot.