Rezension

Todestanz

DANCE OR DIE - Jessika Westen

DANCE OR DIE
von Jessika Westen

Bewertet mit 5 Sternen

Seit 1989 wurde aus der als Demonstration eingetragenen „Love Parade“, die bis 2006 ausschließlich als Techno-Veranstaltung in Berlin stattfand, ein wachsender Event, der Menschen aus aller Welt anzog, um zu harten Beats gemeinsam zu feiern und zu tanzen. Ab 2007 wanderte die Veranstaltung ins Ruhrgebiet ab, wo die 19. Love Parade am 24. Juli 2010 in Duisburg auf dem ehemaligen Güterbahnhofsgelände mit 21 Toten und über 650 Verletzten ein sehr grausames jähes Ende fand.

Am Unglückstag war die Journalistin Jessika Westen live vor Ort, um die Stimmung der Veranstaltung einzufangen und der Öffentlichkeit Bericht zu erstatten. Sie hat das Unglück hautnah miterlebt, viele Interviews mit Opfern, Rettungssanitätern, Augenzeugen etc. geführt und legt nun mit ihrem Buch „Dance or Die“ einen Roman vor, der den Leser aus drei unterschiedlichen Perspektiven den Ablauf der Katastrophe regelrecht miterleben lässt. Pragmatisch, aber auch mit viel Empathie und Feingefühl zieht Westen den Leser mit bildhaften Worten in die Geschichte hinein, wo er selbst Teilnehmer dieser bunten und lauten Großveranstaltung wird, die wogende Menschenmenge auf engstem Raum zu spüren bekommt, die aufkommende Panik aufgrund von Platzmangel und schlussendlich das brutale Ende in Form von Toten und Verletzten miterlebt. Die gewählten Perspektiven sind besonders gut ausgewählt, denn der Leser bekommt nicht nur die Sichtweise von Veranstaltungsteilnehmern Katty serviert, sondern erhält ebenfalls Einblick in das der Reporterin Emma sowie des dort eingesetzten Sanitäters René. Der Wechsel zwischen Katty, René und Emma geht so fließend ineinander über, dass die Perspektiven sich übereinanderlegen und sich so ergänzen. Die Autorin handelt in ihrem Buch nicht nur Fakten ab, sondern vermittelt durch ihre Schilderung zum einen, wie groß der Druck und die Belastung für die Rettungskräfte war, zum anderen zeigt sie auf, welche psychischen und physischen Auswirkungen es auf Besucher, Opfer, Familien, Retter hat, die bis heute an den Folgen tragen. Gerade der Empathie und Sensibilität der Autorin ist es zu verdanken, dass der Leser von Beginn an eine Achterbahn der Gefühle durchlebt, die in Beklemmung, Klaustrophobie, Atemnot, erhöhtem Puls, Entsetzen und unendlicher Trauer zum Ausdruck kommen. Gleichzeitig wächst beim Leser ein ohnmächtiger Zorn ob der Entscheidungen geprägt durch politische und wirtschaftliche Interessen derjenigen, die im Nachhinein jedwede Schuld und Verantwortung von sich weisen.

10 Jahre ist es her, doch Westen hat den Tag erneut lebendig werden lassen, als wäre es gestern gewesen. Mit all den Bildern, Gefühlen und Gedanken, die man am Tag des Geschehens bereits empfunden hat und immer wieder fühlt, wenn man daran denkt. Wie muss es für all jene sein, die an jenem Tag einen geliebten Menschen verloren haben oder Szenen miterlebt haben, die ihnen seither nicht mehr aus dem Kopf gehen? „Dance or Die“ mit seinem farbenfrohen Cover und dem Trauerflor am Leseschnitt ist ein Abbild und ein Mahnmal, damit die Opfer in den Köpfen lebendig bleiben. Absolute Leseempfehlung!