Rezension

Tolle Atmosphäre, leichter Grusel und kriminalistisch inspiriert

Monteperdido - Das Dorf der verschwundenen Mädchen - Agustín Martínez

Monteperdido - Das Dorf der verschwundenen Mädchen
von Agustín Martínez

Bewertet mit 4 Sternen

Tiefe Schluchten, hohe Berge, dunkle Geheimnisse

„Sie ging am Waldrand entlang, als sie plötzlich ein Geräusch hörte. Sie spähte zwischen die Bäume. Die Dunkelheit war mit Händen zu greifen. Etwas bewegte sich, Blätter raschelten. Sie griff nach der Pistole und entsicherte sie.“

Inhalt

Hoch oben in den Bergen der Pyrenäen gibt es ein Dorf, welches ebenso einsam wie verschwiegen in der Berglandschaft ruht und dessen Geheimnisse im Verborgenen bleiben sollen– Monteperdido. Vor 5 Jahren verschwanden dort zwei junge Schulmädchen, die nach wie vor als vermisst gelten. Als eine der beiden einen Autounfall überlebt, bei dem der Fahrer ums Leben kommt, haben die Ermittler endlich eine heiße Spur, um den bereits zu den Akten gelegten Fall erneut aufzurollen. Ana, das Mädchen, welches zurückgekehrt ist, wird nun die Hauptzeugin in einem sehr undurchsichtigen Kriminalfall. Sara Campos, eine Ermittlerin aus der Großstadt, welche die örtlichen Polizeibehörde tatkräftig unterstützen soll, versucht mit dem Mädchen zu reden. Doch sie wird das Gefühl nicht los, dass Ana mehr weiß, als sie zugibt. Schon bald entdeckt Kommissarin Campos weitere Vergehen der Dorfgemeinschaft, immer mehr Geheimnisse, von denen niemand wissen darf und sie ahnt nicht, wer der Täter sein könnte. Als Ana ein zweites Mal verschwindet, diesmal jedoch aus freien Stücken, offenbart sich ein ganz anderes Bild der Situation, doch die Zeit, um Leben zu retten läuft unwillkürlich ab …

Meinung

Von diesem spannenden Kriminalfall bin ich sehr angetan, denn er agiert mit einer überschaubaren Anzahl an Protagonisten und einer ungemein atmosphärischen Stimmung, die mich direkt in die schreckenerregenden Winkel eines einsamen, verlassenen Dorfes hoch oben in den Berggipfeln entführt hat. Besonders gut gelungen ist dem Autor hier die Kulisse, vor der sich ein Vermisstenfall mit zwei Mädchen abspielt. Es sind die intensiven Naturbeschreibungen, die verborgenen Höhlen, die tiefen Schluchten, die einsamen Gehöfte und die verschwiegenen Menschen, die Monteperdido so reizvoll und mysteriös erscheinen lassen. Der Leser trifft auf eine engagierte Ermittlerin, die am eigenen Leib erfahren muss, wie schwer es ist, Vertrauen von Fremden zu gewinnen und einen Vermisstenfall aufzuklären, bei dem schon in der Vergangenheit keine Erfolge erzielt wurden. Sie steht einer eingeschworenen Dorfgemeinschaft gegenüber, die sich gegenseitig beschuldigt oder schützt, die mehr verschleiern möchte, als an der tatsächlichen Aufklärung mitzuwirken. Und so wird es ein Wettlauf gegen die Zeit.

Der Autor liefert hier einen eher stillen, psychologisch orientierten Kriminalfall, der sich ganz allmählich steigert und in dessen Verlauf immer mehr Puzzleteile aufgedeckt werden. Im Mittelteil kommt es zu einigen Längen und Sachverhalten, die sich wiederholen, allerdings bringt das keinen Abbruch für das Lesevergnügen, welches hauptsächlich auf einer geheimnisvollen Erwartungshaltung basiert. Nur zu gern möchte man als Leser wissen, was die wahren Beweggründe sind, warum das Opfer schweigt und ob der damals Beschuldigte wirklich etwas mit dem Fall zu tun hatte, während das Finden des potentiellen Täters eher im Hintergrund steht.

Dem spanischen Autor Martínez ist mit seinem Debütroman ein eindrucksvoller, stimmiger Vermisstenfall mit leichtem Gruselfaktor gelungen, der sich positiv von mörderisch-brutalen Verbrechen und sadistischen Tätern distanziert. Gerade diese mentale Hintergrundmusik, die man während des Lesens spürt, konnte mich überzeugen.

Fazit

Ich vergebe sehr gute 4 Lesesterne für diesen abwechslungsreichen, fesselnden Kriminalroman, der ein hohes Potential besitzt und mich für sich einnehmen konnte. Nur der etwas schwächere Mittelteil sorgt für Punktabzug, weil dort die Geschichte in gewisser Weise stagniert. Ich spreche eine Leseempfehlung für all jene aus, die Krimis mit Stimmung und psychologischer Komponente bevorzugen und auf Blut, Gewalt und detaillierte Grausamkeiten verzichten möchten. Mich hat Monteperdido vor allem neugierig gemacht …