Rezension

Tolle Charakterstudie vereint mit einem sehr interessanten Thema

Kindeswohl
von Ian McEwan

Bewertet mit 4.5 Sternen

Fiona Maye ist 59 Jahre alt und hoch angesehene Richterin am Familien- und Sozialgericht. Ihre 30jährige Ehe ist kinderlos und eigentlich immer glücklich gewesen, bis ihr Mann nun plötzlich eröffnet, dass er ihr Einverständnis für eine Affäre möchte. Der Sex kam in den vergangenen Monaten deutlich zu kurz... Fionas Job als Richterin bringt es mit sich, dass einige Fälle sie noch wochenlang beschäftigen und sie kaum abschalten kann. Nun gibt es ausgerechnet jetzt in der Ehekrise wieder einen sehr brisanten Fall: ein 17jähriger Zeuge Jehovas ist schwer erkrankt und hat nur mit Hilfe von Bluttransfusionen reelle Überlebenschancen. Diese Religionsgemeinschaft lehnt aber strikt Bluttransfusionen ab. Der Junge ist noch minderjährig, also muss die Richterin entscheiden...

Dies ist mein erster Roman von Ian McEwan gewesen und er hat mir ausgesprochen gut gefallen. Die vergleichsweise recht sachliche Sprache des Autors ist für mich zu Beginn etwas gewöhnungsbedürftig gewesen. Schnell jedoch habe ich bemerkt, dass der Autor mit Hilfe sehr intensiver und teilweise auch detailreicher Beschreibungen nicht nur eine gute Atmosphäre, sondern auch ein großartiges Bild der Hauptperson Fiona geschaffen hat. Es ist mir mehr und mehr gelungen, mich besonders in diese Person hineinzuversetzen. Aber auch von dem Jungen blieb ich nicht unberührt. In diesem Roman spricht McEwan ein Thema an, das brisant und äußerst interessant ist. Gleichzeitig zeigt er auf, welch große Verantwortung Richter/innen auf sich nehmen (müssen) und wie ihr eigenes (Familien-)Leben diesem Druck standhält. Immer wieder stellt sich Fiona Maye die Fragen: Welche Entscheidung ist richtig- welche ist es nicht? Was läßt sich gleichermaßen mit Recht und Gewissen vereinbaren? Welche Folgen haben Entscheidungen unter Umständen?

Fazit: Ein heikles Thema, verpackt in eine sachliche und dennoch atmosphärisch dichte Erzählform des Autors machen selbst diesen mit seinen rund 230 Seiten sehr kurz gehaltenen Roman zu einem ungeheuer interessanten Einblick in die Welt der Sozial- und Familiengerichte, insbesondere in die Welt der Richter. Eindringlich entwickelt McEwan den Hauptcharakter und läßt mich als Leser uneingeschränkt teilhaben an den Ereignissen - ich habe mitgegrübelt, mitgelitten, mitgezögert... Eine tolle Charakterstudie und ein toller Roman! Empfehlenswert!

 

 

Kommentare

katzenminze kommentierte am 09. Februar 2016 um 16:07

Dankeschön! Ich bin ja McEwan-Fan, habe aber über dieses Buch auch einige schlechte Kritiken gehört. Aber wenn es dir gefallen hat, kann ich damit wohl nix falsch machen. ^.^

Wenn du mal Zeit und Muße hast, versucht es mit Abbitte und Der Zementgarten. Da seind meine absoluten Favoriten von ihm. <3

Naibenak kommentierte am 10. Februar 2016 um 10:22

Hmm...da ich noch nichts anderes kenne von ihm, hatte ich keine Vergleichsmöglichkeit. Wer weiß, vielleicht ist es wirklich nicht sein Bestes... ;) Abbitte kenne ich als Film - hat mich sehr beeindruckt!!! Ich lese bestimmt mal ein weiteres Buch von diesem Autor. Danke für deinen Tipp... das wäre vielleicht was!