Rezension

Tolle Dialoge

Blaubart - Amélie Nothomb

Blaubart
von Amélie Nothomb

Bewertet mit 4.5 Sternen

Alles - bloß keinen Rosé-Champagner!

(34)

« Unterläuft es Ihnen gelegentlich, dass Sie die Wünsche anderer zur Kenntnis nehmen? »

Die 25-jährige Saturnine kann ihr Glück kaum fassen: Nachdem sie sich auf eine Annonce für ein 40 qm-Zimmer zur Untermiete, welches lediglich 500 Euro im Monat kosten soll, im noblen Pariser Stadtviertel gemeldet hatte, darf sie - trotz großer Nachfrage - den Mietvertrag unterschreiben. Die Informationen jedoch, die sie während der Besichtigung von anderen Interessenten hörte, werfen ein merkwürdiges Licht auf ihren neuen Vermieter...

«Das ist der Eingang zur Dunkelkammer, in der ich meine Fotos entwickle. Sie ist nicht abgeschlossen – ich vertraue darauf, dass Sie sie nicht betreten. Der Raum ist absolut tabu. Wenn Sie hier eindringen, werde ich es merken, und es wird Ihnen leidtun.»

Nothombs moderne Adaption von 'La barbe bleue' versetzt Charles Perrauls Frauenmörder in die Gegenwart und lässt den Leser das bekannte Märchen neu und auf besondere Weise entdecken. Während sich die Rahmenhandlung noch an der Vorlage orientiert, zeigt die Autorin, da sie ihren Fokus auf die Beziehung der Figuren richtet, welche menschlichen Abgründe der alten Stoff zu bieten hat.

So steht dem modernen Blaubart, dem überheblichen Witwer und romantischen Künstler, eine schlagkräftige und unverschämte Frau mit kritischem Geist auf Augenhöhe gegenüber, sodass sich beide wahrlich nichts schenken. Im Mittelpunkt stehen hierbei die Macht der Manipulation und die Zahnräder einer destruktiven Beziehung: Wer ist Sieger, wer der Besiegte?

Der Fortgang der Geschichte findet größtenteils in Dialogen statt, was mich jedoch keinesfalls störte – ganz im Gegenteil! Das Büchlein lebt und sprüht von messerscharfen Wortgefechten, die mal amüsant, mal bitterböse daherkommen. Als Saturnine beispielsweise ihren Vermieter, Don Elemirio (ha, allein schon der Name!), fragt was er den ganzen Tag über mache, ergibt sich folgende Unterhaltung:

«Ich bin Spanier», erklärte er.
«Danach habe ich nicht gefragt.»
«Das ist mein Beruf.»
«Und worin besteht der?»
«Die spanische Würde ist weit über alle anderen erhaben. Ich bin Vollzeit würdig.»
« Und worin zeigt sich Ihre Würde, heute Abend zum Beispiel?»
«Ich werde das Inquisitionsregister wiederlesen. Es ist wunderbar! Wie konnte man diese Instanz so verleumden!»

Während des Lesens hatte ich vermehrt den Eindruck, dass sich ein Theaterstück vor meinem inneren Auge abspielte. Abwegig ist dies keinesfalls, vielleicht sogar beabsichtigt, da selbst die Personen (die Namen sind hier übrigens Programm) sehr überzogen und skurril sind und demnach an Theaterfiguren bzw. Statisten erinnern, die aber konsequent gezeichnet wurden. Gleiches gilt auch für die Dialoge, die in der Realität vermutlich selten in dieser Form vorkommen, mich aber gut unterhalten konnten. Die Qualität der Gespräche schwanken – meiner Meinung nach - zwischen Geplauder und bemerkenswerten Sätzen. Meinen Humor konnten die feinen und spitzzüngigen Bösartigkeiten auf jeden Fall treffen. Der Schreibstil ist leicht und stellenweise elegant gehalten.

Nun ist Nothomb eine Schriftstellerin, deren Werke die lesenden Geister von Buch zu Buch spalten, weshalb ich meine Empfehlung mit Vorsicht ausspreche, da „Blaubart“ und die Art der Erzählweise (zumindest in diesem Werk) doch recht eigen sind. Ich fühlte mich nach Beendigung der kurzweiligen und doch anspruchsvollen Lektüre bestens unterhalten, sehe aber noch etwas Luft nach oben. Für weitere Nothomb-Empfehlung wäre ich demnach sehr dankbar.

«Die Verdauung ist ein rein katholisches Phänomen.»