Rezension

Tolle Idee, großartiger Schreibstil, aber eher durchschnittliche Umsetzung

Seelenhüter - Laura Whitcomb

Seelenhüter
von Laura Whitcomb

*Worum geht's?*
Vor 330 Jahren ist Calder gestorben. Statt in den Himmel aufzusteigen, wurde er zu einem Begleiter, einem Seelenhüter ausgebildet. Fortan reist er zu Sterbenden und stellt sie vor die Entscheidung, ob sie für ihr Leben kämpfen wollen. Diejenigen, die ihren Tod akzeptieren, begleitet Calder durch eine Tür in den Himmel. Als er zu einem sterbenden Kind gerufen wird, begeht Calder einen schicksalhaften Fehler: Er verliebt sich in die weinende Frau, die am Bett des Kindes wacht, und verweigert dem Kind die Himmelstür. Um jeden Preis möchte er die Frau wiedersehen und so schleicht er in den Körper eines Toten, um ihr den Schlüssel der Seelenhüter zu übergeben und sie selbst zu einer unsterblichen Begleiterin auszubilden. Doch dann erkennt Calder, wer die Frau ist: Sie ist die Zarin Russlands, Alexandra Romanow, die ihren Mann und ihr Land über alles liebt und niemals zurücklassen würde. Sie will den Schlüssel von Calder nicht annehmen, knüpft ihm jedoch das Versprechen ab, ihren Sohn Alexis auszubilden. Nach der Übergabe des Schlüssels überschlagen sich die Ereignisse: Krieg bricht aus, die Zarenfamilie wird ermordet und das wichtige Artefakt geht verloren. Calder verzweifelt: Ohne den Schlüssel kann er nie mehr zurück in sein altes Leben...

*Kaufgrund:*
Laura Whitcombs Schreibstil hat es mir in "Silberlicht" wirklich angetan. Leider scheiterte die tolle Geschichte an der Umsetzung. In der Hoffnung, die Autorin habe aus ihren Fehlern gelernt und die wieder einmal vielversprechende Handlung besser verfasst, wagte ich mich an die Fortsetzung, "Seelenhüter".

*Meine Meinung:*
Laura Whitcomb ist ein echtes Schreibtalent und das merkt man ihrem Roman deutlich an. Ihr Schreibstil hebt sich merklich von anderen Autoren ab, lädt zum Träumen ein und malt dem Leser wunderschöne Kunstwerke ins Gedächtnis. Zu meinem Bedauern ist ihre größte Stärke zugleich ihre größte Schwäche. Sie beschreibt zu übermäßig, verheddert sich in ihren eigenen Erzählungen und bringt ihre Handlung durch die detailreichen Schilderungen kaum voran. Dadurch geht die aufgebaute Spannung schnell verloren und der Roman macht einen langweiligen Eindruck. Dabei steckt so viel Potenzial in Whitcombs Handlungsidee! Es könnte alles so aufregend und mitreißend sein, aber aus einem mir unerfindlichen Grund legt die Autorin sich mit ihrer Langatmigkeit selbst Steine in den Weg.

Vom Prinzip ähnelt sich die Idee des Buches sehr der des Debütromans "Silberlicht". Eine verstorbene Seele, die noch nicht in den Himmel aufsteigen kann/darf, stiehlt sich einen Körper, um in der Welt der Lebenden wandeln zu können, und richtet damit ungeahnten Schaden an. "Seelenhüter" wirkt jedoch an keiner Stelle wie ein Abklatsch des Vorgängers. Whitcomb hat die Idee völlig neu aufgerollt und wieder einmal Ideenreichtum bewiesen. Dieses Mal spielt ihr Buch nicht in der Gegenwart, sondern hauptsächlich in den Jahren 1918/1919. Als wäre es selbstverständlich, schafft Whitcomb trotz Fantasy-Elementen eine realistische historische Atmosphäre.

Der Klappentext verspricht eine romantische Liebesgeschichte und weckt absolut falsche Erwartungen. Alexandra, die dort so eine wichtige Rolle zu haben scheint, geht in der tatsächlichen Handlung fast unter und ist höchstens als Auslöser aller Probleme zu betrachten. Sobald der Leser das erste Drittel des Romans überstanden hat, wird er Alexandra und der angedeuteten Liebesgeschichte nicht mehr begegnen. Die eigentliche Handlung von "Seelenhüter" beginnt sogar erst nach diesen Ereignissen! Obwohl Calders Herz trotzdem noch im Laufe des Romans verschenkt werden wird, kommt die Liebe nicht auf ihre Kosten. Sie bleibt flüchtig, belanglos und nebensächlich und man kann nicht nachvollziehen, warum sich jemand in den anderen verliebt.

Die Hauptcharaktere sind definitiv als Pluspunkt des Buches hervorzuheben. Protagonist Calder und seine beiden Schützlinge sind individuelle Figuren, die durch ihre fehlerhaftes Handeln und ihre Gefühle ausgesprochen authentisch erscheinen. Calder, der während seiner Zeit auf der Erde immer mehr Erinnerungen über sein sterbliches Leben zurückerhalten wird, und seine Hintergrundgeschichte waren für mich fast der einzige, dafür umso größerer Ansporn zum Weiterlesen. Mit den Antagonisten hingegen konnte ich überhaupt nichts anfangen; ich mag sie gar nicht als Bösewichte bezeichnen, weil sie erst viel zu spät eine viel zu kleine Rolle spielten. Ihre Beweggründe blieben mir zu undurchsichtig und unverständlich.

Wenigstens schafft es die Autorin zum Schluss hin, ihre Handlung anzuheizen und zügig voran zu treiben. Die letzten Abschnitte des Buches haben mir sehr gefallen, können mich dennoch nicht über den Rest hinwegtrösten. Mit einem leicht offenen Ende schließt Whitcomb "Seelenhüter" ab und lässt dem Leser noch ein wenig Raum zum Weiterträumen. Für eine Fortsetzung reicht es meiner Meinung nach allerdings nicht mehr.

*Cover:*
Wow, als ich das das Cover das erste Mal sah, konnte ich meinen Augen nicht trauen. Kein Mädchengesicht! Nunja, ein Männergesicht gefällt mir von der Idee her nicht besser als die üblichen Gesichter auf den Covern, aber eine erfrischende Abwechslung ist es schon. Die Verzierungen und die Farben sind wie bei Laura Whitcombs ersten Roman, "Silberlicht", wunderschön harmonisch gewählt worden.

*Fazit:*
Wer ausschweifende und detailreiche Beschreibungen liebt, wird mit Laura Whitcombs Roman "Seelenhüter" glücklich werden. Ihr Schreibstil ist verzaubernd und zeugt von großem Talent. Leider hat mir auch diesmal die Umsetzung der Geschichte nicht gefallen. Es gibt zu viele langatmige Stellen, wodurch der Leser kaum zum Weiterlesen angeregt wird. Die versprochene Liebesgeschichte, die oberflächlich und nicht romantisch ist, taucht erst dann auf, wenn man sie schon gar nicht mehr erwartet. Für Hauptcharaktere, die tolle historische Atmosphäre, die Grundidee und den Schreibstil gibt es bedauerlicherweise nur knappe drei von fünf Sternen.