Rezension

Tolle Idee, suboptimale Umsetzung

Ein wirklich erstaunliches Ding - Hank Green

Ein wirklich erstaunliches Ding
von Hank Green

Bewertet mit 2 Sternen

Aus einer SciFi-Grundidee, einer kritischen Betrachtung der aktuellen Gesellschaftsentwicklung und ein paar Thriller-Elementen als Topping konstruiert Hank Green ein umfangreiches SocialMedia Abenteuer. Der Wunsch nach weltweiter Zusammenarbeit und die Kritik an Angstmacherei gegenüber Dingen oder Personen, die uns fremd sind, treten deutlich hervor. Einzelne Ideen, wie zum Beispiel die Gestaltung der Carls und das zu lösende Rätsel, fand ich sensationell. 

Leider konnten diese Ideen ihre positive Wirkung für mich nicht vollends entfalten. Die überdurchschnittliche Ausprägung der wichtigsten Charaktere als weibliche Rollen fand ich nicht glaubwürdig. Abgesehen von April Mays Kontrahent sind alle männlichen Rollen, insbesondere die von Andy und Robin, im Sinne eines Schoßhündchens angelegt. Das hat mich schon irgendwie gestört. Ebenfalls unrealistisch empfinde ich die späten, nur punktuellen Reaktionen der Medien auf Aprils homosexuelle Beziehung zu Maya, einer Afroamerikanerin. So tolerant sind wir meines Erachtens im Allgemeinen nicht. 

Mein schwerwiegendster Kritikpunkt ist jedoch April selbst, die im Buch ihre eigene Geschichte so erzählt, als hätte der Leser die Geschehnisse ähnlich wie den 11. September live mitverfolgt. Dabei ist die Erzählweise reißerisch, kündigt jeden Moment ganz gravierende Ereignisse an und dann kommt die Werbung. So fühlen sich jedenfalls die Exkurse an, die immer dann eingestreut werden, wenn gerade Spannung aufkommt. Mein Lesevergnügen wurde dadurch stark ausgebremst.

„Hättest du mal lieber rechtzeitig dein Gehirn eingeschaltet, du rotzfreches, altkluges Scheißgör.“(S. 200) Auch wenn dieser böse Vorwurf, den ihr schärfster Kontrahent April May an den Kopf wirft, an Gemeinheit kaum zu übertreffen ist, hatte ich beim Verfolgen ihrer Aktivitäten ganz oft ähnliche Gedanken. April stolpert regelrecht durch das Geschehen. Ihr enthusiastisches Handeln ist geprägt von puren Aktionismus. Obwohl April May zu Beginn ihrer Story hohe Ziele für sich als Vermittlerin zwischen den Carls und der Menschheit sowie zwischen den Menschen untereinander hatte, verrennt sie sich, wird vom „großen Geld“ in eine andere Richtung gezogen bis sich Aprils Welt ausschließlich nur noch um die eigene Marke dreht. In ihrer Art wirkt sie naiv, überdreht und unüberlegt. Deshalb konnte ich mit ihr leider überhaupt nicht identifizieren.

Trotzdem gibt es immer wieder auch positive Momente im Buch. Hervorzuheben ist die gut herausgearbeitete Gesellschaftskritik, wie auf Seite 281: „Es ist viel anstrengender, die eigene Einstellung immer wieder zu hinterfragen, sie neuen Gegebenheiten anzupassen, umzuformen und Ideen für eine bestmögliche Zukunft zu entwickeln, als die Ideen anderer kaputtzumachen.“ Darüberhinaus mag ich das Mysterium der Carls.

Insgesamt tue ich mich jedoch schwer mit einer Empfehlung, da mich April Mays Selbstverliebtheit über weite Strecken gelangweilt hat. Möglicherweise mögen um die 20-Jährige dieses Buch dennoch oder gerade deswegen. Vielleicht situationskomisch gemeint, aber für mich total unpassend, weil maximal einfallslos, ist der Name April May, wenn die Ereignisse im Juni und Juli spielen.