Rezension

Tolle Lektüre !

Die Erfindung des Countdowns - Daniel Mellem

Die Erfindung des Countdowns
von Daniel Mellem

Bewertet mit 5 Sternen

Lebenslinien eines Idealisten

„Es war paradox. Wie konnte etwas, das die Wissenschaft, die pure Vernunft, erschaffen hatte, solch eine barbarische Wirkung entfalten? Mit einem Bein ging man einen Schritt vorwärts, mit dem anderen einen Schritt zurück. Ein Spagat, der die Menschen zerrissen hatte.“

Inhalt

Seit Kindesbeinen an hat der in Siebenbürgen geborene Hermann Oberth nur einen Wunsch, er möchte eine Rakete bauen, die bis zum Mond fliegt. Sein Vater unterstützt den Jungen nicht, hält er dessen Interesse für Physik und Raumfahrt doch für eine irrwitzige Idee, viel lieber wäre es ihm, Hermann würde wie er selbst Arzt werden und dafür Sorge tragen, das der Ruf der Familie entsprechend bliebe. Ein Bruch ist unvermeidbar und Hermann heiratet nicht nur sehr jung die Bardame Tilla, er zieht auch nach Deutschland, um dort zu studieren und seinen Lebenstraum zu verwirklichen. Seine Passion treibt ihn mehrfach an den Rand der Verzweiflung, denn wem er auch seine Ideen verkaufen will, keiner zeigt wirklich Interesse an seinen Berechnungen und technischen Vorstellungen. Und während ihn Tilla in den vielen gemeinsamen Ehejahren nur selten zu Gesicht bekommt, obwohl sie die 4 gemeinsamen Kinder großzieht, vergeht Hermanns Lebenszeit und mit ihr die Aussicht auf Erfolg. Erst als er die Bekanntschaft mit Wernher von Braun macht, der für die Nationalsozialisten Forschungen über Vernichtungswaffen leitet, gibt es erstmals die Möglichkeit der wissenschaftlichen Anerkennung. Doch während sich nun die Mächtigen dieser Welt für ihn interessieren, muss Hermann einsehen, dass seine Entwürfe nur ausgeschlachtet und missbraucht werden, denn keiner der Geldgeber ist wirklich so ein Idealist wie er selbst und zum Mond werden andere fliegen …

Meinung

Der deutsche Autor Daniel Mellem, der für dieses Buch bereits den Hamburger Literaturförderpreis erhielt, hat selbst Physik studiert und widmet sich in diesem Roman der Ethik der Wissenschaft, symbolisiert durch die Figur des Hermann Oberth, der zwar keinerlei politische Überzeugungen hegte, aber letztlich doch zwischen den Mühlen seiner Zeit zerrieben wurde. Mit Leichtigkeit und Feingefühl führt der Autor den Leser nicht nur durch viele Jahrzehnte Deutscher Geschichte, sondern er fährt die Lebenslinien eines Idealisten und Träumers nach, der immer an den Erfolg der Sache glaubte und sich dennoch mit dem Scheitern seiner persönlichen Grundsätze konfrontiert sah.

Das Buch lebt einerseits von einer überaus ansprechenden Geschichte, die stellenweise autobiografisch und dann wieder rein fiktiv ist und andererseits von der großen Frage hinter dem vordergründigen Aktionismus. Im Zeitraffer gelingt es Daniel Mellem diesen Roman auf das Wichtigste zu beschränken und dennoch neben der Lebensgeschichte eines Wissenschaftlers, auch noch die berührende Erzählung über eine schwierige Ehe und die Verblendungen einer historischen Epoche einzuflechten. Vom Stil her erinnert mich dieser Text an die Werke von John Boyne, der ganz ähnlich verfährt und sich ein kleines Körnchen aus der Weltgeschichte herauspickt, um dieses in einen persönlichen Kontext zu setzen und dadurch viel mehr zu erreichen als nur die Benennung diverser Tatsachen. Besonders eindrucksvoll ist dem Autor dabei der Lebenslauf von Hermann Oberth gelungen, dessen Leben voller Sehnsüchte geblieben ist, der oftmals falsche Entscheidungen getroffen hat, der im Krieg zwei seiner Kinder verlor, der letztlich nie die Rakete gebaut hat, von der er träumte und der doch den Start der Saturn V. in Cape Canaveral erlebte. Die Tragik eines ganzen Lebens offenbart sich hier auf gut 200 Seiten und zeigt ein menschliches, bewegtes Porträt eines Mannes als Kind seiner Zeit.

Fazit

Ich vergebe glatte 5 Lesesterne für diesen eindrucksvollen Roman der während des Lesens für gute Unterhaltung sorgt und ganz nebenbei für die Belange eines Menschenlebens sensibilisiert. Der Raketenbau ist nur der Hintergrund, vor dem sich eine bewegende, vielschichtige Erzählung aufbaut, die sehr viel Raum für eigene Gedanken lässt und allerlei Verfehlungen thematisiert. So viel wird hier benannt und ebenso erklärt, die Nebenfiguren wirken authentisch und geben der Geschichte ein ganz besonderes Flair, gleichzeitig wird die Motivation und Begeisterung des Hauptprotagonisten deutlich und auch die aller anderen Berührungspunkte. Ein wirklich großes Buch angesiedelt zwischen Biografie, Historie und Roman – ein Lebenswerk in Anlehnung an eine kindliche Vorstellung, ein Ereignis was die Welt verändert hat und ein Mann, der ergriffen die Hand seiner Frau nimmt, die ihm bedingungslos den Rücken freigehalten hat, obwohl sie für ihn und die gemeinsame Familie stets nur Entbehrungen leisten musste. Ganz große Leseempfehlung!