Rezension

Tolle Produktion aber kein leichter Inhalt

Tote Mädchen lügen nicht - Jay Asher

Tote Mädchen lügen nicht
von Jay Asher

Bewertet mit 3.5 Sternen

Gestaltung
Die Geschichte wird von zwei Sprechern gelesen, denn auch hier erwarten uns wieder zwei Handlungsstränge: 
Der erste Handlungsstrang ist Hannahs Geschichte. Sie hat diese auf 13 Kassetten aufgesprochen und in Umlauf gebracht. Clay ist einer der dreizehn Menschen, die für Hannah Bakers Tod verantwortlich sein sollen. In seinem Handlungsstrang geht es darum, wie er mit Hannahs Erzählung umgeht. 

Robert Stadlober und Shandra Schadt sind beide um die 30 Jahre und klingen unheimlich jung, was bei Tote Mädchen lügen nicht ein großer Vorteil ist.
Beide Sprecher sind sehr gut besetzt. Sie harmonieren gut miteinander und interpretieren ihre Rollen gekonnt. Robert Stadlober hört man die Verunsicherung seines Charakters wirklich an. Im Laufe der Geschichte wird die Verunsicherung dann durch Verzweiflung ersetzt. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie Clay leidet.
Shandra Schadts Interpretation war zu Beginn mit Genugtuung bestückt. Ich konnte förmlich hören, wie Protagonistin Hannah sehr gerne miterlebt hätte, wie die einzelnen Adressaten auf die Kassetten reagieren. Doch die Genugtuung beginnt nach und nach zu bröckeln. Und diesen Wechsel von Selbstsicherheit zur Ohnmacht hat die Sprecherin sehr gut transportiert. 

Etwas überraschend war das Ende von Tote Mädchen lügen nicht. Hier hätte ich mir noch eine Art Outtro gewünscht. Allerdings ist die Produktion schon etwas älter und vielleicht hielt man es damals nicht für notwendig. Zudem finde ich es erstaunlich, dass der Titel nur noch als Hörbuch Download erhältlich ist. Gerade im letzten Jahr als die erste Staffel der gleichnamigen Netflix Serie so erfolgreich war, bin ich irgendwie davon ausgegangen, dass auch Buch und Hörbuch nochmal an Bekanntheit gewinnen. 

Zum Schluss noch ein paar Worte zur gekürzten Hörbuch Fassung: Vor Jahren habe ich das Buch gelesen, konnte mich aber nur noch grob an den Inhalt erinnern. Ich glaube nicht, dass bei dem Hörbuch viel gekürzt wurde. Wenn ich raten müsste, würde ich vermutzen, dass Clays Handlungsstrang vielleicht etwas zusammengeschnitten wurde. 

Inhalt / Spannung 
Kommen wir also zuerst zur Handlung der Geschichte. Hannah Baker liefert uns hier dreizehn Gründe, die für ihren Suizid verantwortlich sind. Und genau das Element hat mich beim ersten Mal lesen ziemlich aufgeregt, weil keine wirkliche Auseinandersetzung mit den verschiedenen Gründen stattfindet, sondern nur eine Menge von Schuldzuweisungen verteilt werden. 
Heute sehe ich es etwas differenzierter, finde aber nach wie vor, dass Jay Asher das Thema Suizid alles andere als gelungen darstellt. 

Zum einen stellt er es so dar, als ob man viele Gründe bräuchte, um einen Suizid zu begehen. Und das stimmt nicht. Allein von Hannahs Liste würden wahrscheinlich schon 1-2 Gründe ausreichen, damit junge Menschen in eine Krise kommen. Jay Asher führt hier aber dreizehn Gründe auf. Lesern wird so das Gefühl vermittelt, dass es einem schon so richtig schlecht gehen muss, um Suizid zu begehen. Und das stört mich massiv, weil die Menschen, die eben nur eine von Hannahs Problemen haben, als harmlos dargestellt werden. Dabei sind ihre Gedanken genauso ernst zu nehmen. 

Zum anderen geht Jay Asher bei den dreizehn Gründen kein bisschen in die Tiefe. Er reiht einfach eine Menge schlimmer Dinge aneinander und hofft, dass der Leser zum Schluss versteht, dass es natürlich nur den Suizid als Ausweg geben kann. Wenn der Autor sich hier tiefgehend mit den Themen auseinandergesetzt hätte, wäre deutlich geworden, dass schon ein Thema reicht, um eine Kettenreaktion in Gang zu bringen. Stattdessen erschienen mir die Gründe hier und da etwas zusammenhangslos. Gerade der Grund, der als Ausgangspunkt für die Kettenreaktion angeführt wurde, fand ich unrealistisch dargestellt. 

Kommen wir nun zu den Charakteren: Wie bereits beschrieben, hatte ich beim ersten Mal lesen eine große Antipathie gegenüber Hannah. Nicht, weil sie Suizid begangen hat, sondern, weil sie zuvor noch ordentlich austeilt und sich dem Konflikt nicht stellt, sondern die Menschen mit ihren Gedanken zurücklässt. Inzwischen denke ich aber, dass es solche Schicksale vielleicht wirklich gibt. Nicht so extrem - mit dreizehn Kassetten - sondern eher in Form von einem Abschiedsbrief. Wer aber nicht reflektiert an das Buch heran geht, kann Hannah ebenfalls als unsympathisch wahrnehmen und das wirft kein gutes Licht auf die vielen Jugendlichen auf dieser Welt, die wirklich in einer psychischen Krise stecken und Unterstützung brauchen. 

Das Einzige, was ich an Hannah als Protagonistin gelungen fand, war ihre Veränderung. Dass das Thema Tod Stück für Stück näher rückt und sie selbst in eine resignierende Lage kommt, weil sie keinen Ausweg aus ihrer Situation sieht und es ihr daher egal ist, was mit ihrer Psyche und ihrem Körper gemacht wird. 

Clay hingegen fand ich sofort sympathisch. Er ist ein ruhiger Junge, der nicht groß auffällt, den aber dennoch jeder zu kennen scheint. Er wirkt sehr empathisch. Und gerade deshalb fällt er auch aus allen Wolken, als er erfährt, dass er einer der dreizehn Gründe ist, die für Hannahs Suizid verantwortlich sind. Clay merkte man die Ohnmacht und die Verzweiflung an. Und das spiegelt oberflächlich gesehen den Schmerz wieder den Angehörige von suizidalen Menschen empfinden. 
Der Inhalt ist also definitiv kritisch zu betrachten und ich befürchte, dass die Handlung mehr Schaden anrichtet, als wirklich hilft. 

Schreibstil
Eines muss man Jay Asher lassen: Er zeigt in Tote Mädchen lügen nicht einen wirklich guten Schreibstil. Clays Verzweiflung und Ohnmacht, sowie Hannahs Wut und ihre Verletzlichkeit kommen sehr gut zur Geltung. Beide Handlungsstränge sind aus der Ich-Perspektive erzählt und sorgen somit für einen guten Lesefluss. Außerdem wirken beide Protagonisten auf ihre Art reflektiert, weil sie ihre Handlungen begründen, was zeigt, dass sie durchaus darüber nachdenken und nicht aus einer Laune heraus handeln. (Leider wirkt sich das nicht auf die Handlung der Geschichte aus). 

Gesamteindruck
Zusammenfassend kann ich sagen, dass die Hörbuchfassung das ernste Thema sehr gut aufgearbeitet hat, obwohl es nicht immer leicht war, hinzuhören und ich an manchen Stellen wirklich gerne vorgespult hätte. 

Es ist traurig, dass Jay Asher das Thema Suizid nicht gut darstellt, weil gerade durch die Netflix Serie viele Menschen auf Tote Mädchen lügen nicht aufmerksam geworden sind und die Handlung nicht wirklich dazu beiträgt, dass man für Themen wie Suizid oder Lebenskrisen sensibilisiert wird. Dennoch waren die Charaktere ganz gut ausgearbeitet. 
Tote Mädchen lügen nicht sollte aber auf jeden Fall in einem Setting gelesen werden, in dem man über die Handlung reflektiert und sich damit auseinandersetzt. Ich vermute aber, dass das leider sehr selten der Fall sein wird.