Rezension

Toller amerikanischer Gegenwartsroman

Freiheit - Jonathan Franzen

Freiheit
von Jonathan Franzen

Bewertet mit 4 Sternen

In "Freiheit" wirft Jonathan Franzen uns mitten rein in die Leben von Patty, Walter und Richard. Patty und Walter sind verheiratet und haben zwei Kinder. Die hübsche Patty ist eine tolle Mutter, eine liebenswerte Nachbarin, engagiert, freundlich aber voller Selbstzweifel. Dass ihr über alles geliebter Sohn Joey noch nicht einmal volljährig zu den Nachbarn zieht um mit der Tochter der Hauses zusammen zu sein, scheint sie nicht zu verkraften. Während es Patty immer schlechter geht, stürzt sich Walter mehr und mehr in seine Arbeit. Er ist Idealist, Umweltschützer und überhaupt ein vollkommen korrekter Mensch. Es erstaunt, das sein bester Freund Richard so ganz anders ist als er: Ein Badboy mit einem hohen Verschleiß an Frauen, ein flapsiger Rockmusiker, düster, mit einer generellen Abneigung gegen die Welt. Nur mit Patty und Walter pflegt er einen herzlichen Umgang. Im Rückblicken erfahren wir wie die drei sich kennenlernten und verfolgen die Aufs und Abs ihrer Beziehungen und ihrer Leben ganz allgemein.

Vor allem Patty habe ich komplett ins Herz geschlossen: Ihre konsequente Ironie, ihr Humor und ihre Selbstzweifel geben ihr viel Tiefe. Sie ist alles andere als fehlerfrei aber unglaublich sympathisch und lustig. Der Teil der von ihr selbst als ihre „Biografie“ geschrieben ist, hat mir auch mit Abstand am besten gefallen an diesem Roman. In ihrem Leben ist viel los. Ihr recht liebloses Elternhaus setzt ihr zu und sie flüchtet sich in den Sport, in dem sie es weit bringt. Sie gerät an falsche Freunde und als sie Walter und Richard kennenlernt, ist sie sich nicht ganz klar wem von beiden ihr Herz gehört...

Mit Walter bin ich nicht ganz so warm geworden. Ist er doch fast zu perfekt und zu lieb. Er ist ein guter Mann aber sehr glatt und oft spießig. Deshalb fand ich die Passage über ihn etwas schwierig. Sein Kampf für die Umwelt hatte ein paar Längen aber auch mit Walter hat Franzen einen insgesamt sehr authentischen Charakter geschaffen! Richard taucht immer wieder zwischendurch auf. Sein Musikerleben ist recht unstet aber vor allem Walter ist sein Ankerpunkt im Leben.

Konflikte, Freundschaft und Familie: Das alles ist toll beschrieben! Am besten und spannendsten war Pattys eigener Lebensbericht. Im Vergleich dazu passiert zum Ende des Buches hin nicht mehr ganz so viel wie ich erwartet hätte. Dabei hatte zum Beispiel die Geschichte um Sprössling Joey und seine seltsame Freundin Conny viel Potential. Letztlich ist mir das aber zu glatt verlaufen.

Bei Franzen ist niemand perfekt. Alle kleinen Fehler des Personals – und nebenbei die der Gesellschaft - werden offengelegt. Eine bunte Mischung verschiedenster Charaktere taucht hier auf. Die vollgepackte Geschichte ist immer glaubwürdig, teilweise witzig, teilweise sehr traurig und teilweise wunderbar grotesk. Bis auf ein paar Kleinigkeiten hat "Freiheit" mich super unterhalten. Wer komplett abtauchen möchte in die Leben anderer Leute und dabei kleine Längen verzeihen kann ist hier genau richtig. Ein toller amerikanischer Gegenwartsroman.