Rezension

Toller Schmöcker feinster Klasse

Das Seehaus
von Kate Morton

Bewertet mit 5 Sternen

Die Meisterin dieses Genres! Ein dicker Schmöcker voller kleinen und grösseren Familiengeheimnisse, die vielschichtig miteinander verknüpft sind, ein altes Herrenhaus und ein weitläufiger und schöner Garten, diverse Sichtweisen auf die eine gleiche Nacht, die noch bis 80 Jahre später Konsequenzen hat.

Tatsächlich ist Kate Morton wohl die Hauptschuldige in dem Fall, warum ich solche Romane gerne lese. Familiengeheimnisse, die sich aus der Sicht jedes Beteiligten oder Zuschauers verändern, eine neue Bedeutung bekommen und einen neuen Lichteinfall auf die Geschehnisse werfen. Auch in diesem Roman führt uns die Autorin auf verschiedene Fährten, die zum aktuellen Lesestandpunkt absolut Sinn ergeben, aber immer noch Informationen fehlen. Und sobald man mehr Informationen oder eine neue Sicht auf ein Detail bekommt, geht das Kopfkino wieder los und eine neue Lösung wird ersichtlich. 
In diesem Fall haben diverse Familienmitglieder viele Puzzleteile, doch nur zusammen können sie auch das Bild jener Nacht zusammensetzen. Einzige Ausnahme ist Eleonor Edevane, die im Mittelpunkt diverser Teilgeschichten steht und somit Dreh- und Angelpunkt der Familie ist. Die Geschichte erstreckt sich über ca. 100 Jahre und ist hauptsächlich in 3 Schichten (neben kleineren Einblicken von Nebenfiguren oder Briefen) eingeteilt und spielt in 2 Zeitperioden. Im Heute und im Damals, grob gesagt. Obwohl es im Damals nochmals einen kleinen Zeitunterschied zwischen einigen Rückblenden (vor Krieg, vor Mittsommernacht) und in der Nacht des Mittsommerfests spielt. Diese Zeitsprünge sind jedoch nicht verwirrend, weil sie Anfangs jeden Kapitels immer angegeben werden. Etwas verwirrend kann zumindest Anfangs die Anzahl Namen und Verknüpfungen sein. Wer jedoch daran gewöhnt ist (z.B. als Fan dieses Genres), kommt man schnell rein.
Gegen Ende lösen sich die Rätsel Stück für Stück auf, obwohl einzelne Rätsel vorhersehbar (oder "vorverhoffbar"?) sind für Liebhaber von solchen Romanen. Muster sind eben nicht zu leugnen, jedes Genre hat seine Klischees. Ausserdem sind einige Zufälle knapp zu viel für die Realität, jedoch authentisch erklärt. Doch wenn wir ehrlich sind, würden diese "Zufälle" nicht geschehen, würden sich  nicht alle Rätsel auflösen und man könnte an der Geschichte eben genau dies bemängeln (was dann meiner Meinung unfair wäre). Tatsache ist, dass in der Realität nicht immer alles schön aufgeht und gelöst werden kann, im Roman besteht jedoch diese Möglichkeit, weswegen ich es auch nicht kritisieren, wenn der Autor dies nutzt. Denn nach seitenlangem Mitfiebern wollen wir doch alle alles wissen und aufgeklärt werden!
Die Figuren sind wie immer sehr lebendig und liebevoll beschrieben, mit Charisma und Hintergrundgeschichte und eigener Stimme. Keiner bleibt 2D. Die meisten finde ich sehr sympathisch, nachvollziehbar und authentisch. Mit anderen identifiziere ich mich weniger, aber das ist ja natürlich bzw. human. Was ich an Morton's Roman genauso liebe, sind die Beschreibungen nicht nur von der Familie, sondern auch zum Haus, dem Garten, der Landschaft allgemein und der damaligen Zeit. Sie recherechiert viel über die Gegend, Kriegszeiten und Gepflogenheiten und das merkt man einfach. Weil sie es so wunderbar detailliert, aber nicht dick auftragend, widergibt, dass ich die Wälder riechen kann, das Meer hören, den Wind spüren und mich gedanklich komplett im Schauplatz und der Geschichte verlieren kann. Ein Pageturner erster Klasse!
 

5 / 5 Sterne