Rezension

Toller Schreibstil, zu wenig Emotionen

Ein ganzes Leben
von Robert Seethaler

Bewertet mit 4 Sternen

Die Bescheidenheit des kleinen Mannes

„Egger fühlte, wie die Traurigkeit in seinem Herzen hochstieg. Er fand, es hätte noch so viel zu tun gegeben in ihrem Leben, viel mehr wahrscheinlich, als er sich vorstellen konnte.“

Inhalt

Dies ist die Erzählung über ein Menschenleben, über Andreas Egger, einen Mann der an den einfachen Dingen des Lebens Gefallen fand: arbeiten, sich mit der Natur verbunden fühlen, rechtschaffen und zuverlässig zu sein, ohne allzu hohe Ansprüche und abstrakte Wunschvorstellungen zu hegen. Mit seiner großen Liebe Marie, deren Herz er auf scheinbar wundersame Weise erobern konnte, möchte er alt werden. Doch ihre bescheidene Hütte, mit den wenigen Dingen, die Andreas Egger wichtig waren, wird unter einer Schneelawine begraben. Und während er mitten in der Nacht von einem seltsamen Geräusch geweckt wurde, kommt für Marie jede Hilfe zu spät. Und so muss der junge Mann lernen, mit diesem doch so schweren Schicksalsschlag zu leben. Aufrecht und zuversichtlich beschreitet er auch diesen noch so langen Lebensabschnitt, der vor ihm liegt – ohne seine Heimat, die Berge, zu verlassen. Tiefverwurzelt und mit zunehmendem Alter etwas absonderlich schwört Andreas Egger auf die Kraft, die in ihm wohnt und erhaben über menschliche Befindlichkeiten wirkt. Sein Leben war gut, so wie es war.

Meinung

Nachdem ich vor kurzem den neuesten Roman von Robert Seethaler „Der letzte Satz“ gelesen habe und dort zwar vom Schreibstil angenehm überrascht war, mich mit den vielen Fragmenten aber nicht so ganz zufriedengeben konnte, musste ich zu Vergleichszwecken unbedingt ein weiteres Buch des Autors entdecken. Allerdings zeichnet sich für mein Empfinden bei Seethalers Romanen eine Tendenz ab, die ich durch ein drittes Buch gerne bestätigt haben würde. Die Thematiken die der Autor wählt, finde ich sehr ansprechend, es sind Dinge, über die ich selbst gerne nachdenke: das Leben, die Bestimmung, die Verfehlungen und Abschiede auf der großen Bühne des Daseins. Diese vermag er in einen angenehmen Kontext zu setzen, der erzähltechnisch mit einer Leichtigkeit besticht und zusammenhängend schildert, wie sich Dinge entwickeln, die man manchmal durch Entscheidungen beeinflussen kann und manchmal durch Schicksalshaftigkeit hinnehmen muss. Doch beide Bücher haben ein Manko, welches mich hier besonders stört, weil es möglich scheint, durch die Wortwahl genau jenes zu erzeugen. Den Texten fehlt es für mich schlicht und einfach an Emotionalität, trotz ihrer greifbaren Dramatik. Für den Protagonisten Andreas Egger konnte ich einfach keine nennenswerte Sympathie empfinden. Er ist für mich der Inbegriff des einfachen Mannes, der mit wenig Worten und kargen Gefühlen durchs Leben geht und den Augenblick ergreift, ihn lebt, ohne zu urteilen, ihn akzeptiert ohne zu Grollen, der weitermacht, weil es ein Morgen gibt. Einerseits sind das Eigenschaften, die ich bewundern könnte, aber in ihrer Omnipräsenz erscheint mir das irgendwie unverständlich. 

Fazit

 Auch hier reicht meine Bewertung nur für 4 Lesesterne, obwohl ich dieses Buch gerne gelesen habe, mich gewissermaßen auf der gleichen Bewusstseinsebene bewege. Ein Roman der gut und gerne für 5 Sterne de Luxe hätte stehen können, der mich aber einfach nicht berühren konnte. Nur selten treffe ich auf literarische Texte, die einerseits so selbstverständlich über die wichtigen Dinge des Lebens berichten und gleichermaßen so sachlich und objektiv dabei vorgehen. Inhaltlich wäre „Ein ganzes Leben“ genau mein Buch gewesen, eins bei dem der ganze Weltschmerz auf 155 Seiten wirken könnte, bei dem Tränen fließen und Verständnis überwiegt. Doch eigentlich klappe ich dieses Buch zu und habe es fast schon wieder vergessen – sehr schade.