Rezension

Toller Schreibstil zu wenig Nervenkitzel

AMNESIA - Ich muss mich erinnern - Jutta Maria Herrmann

AMNESIA - Ich muss mich erinnern
von Jutta Maria Herrmann

Bewertet mit 3 Sternen

Kurzmeinung:

Genre: Thriller; Psychothriller;

Handlung: Die Handlung wird durch die eine Schlüsselfrage bestimmt: Hat Helen ihren Schwager umgebracht? Sie kann sich an viele Augenblicke ihres Alltags nicht erinnern, da ihre Medikamentensucht, bedingt durch ein schweres Krebsleiden, bei ihr immer öfters eine kurze Amnesie auslöst. Helen hat Erinnerungslücken. Wäre sie wirklich fähig einen Menschen zu töten? Das fragt sich die Protagonistin und auch der Leser.
Charaktere: Das Buch wird durch Helen, die Protagonistin getragen. Sehr intensiv und detailliert wird ihre Figur von der Autorin geformt. Als Leser ist man bei jedem Gedanken, jedem Zweifel, jeder Frage und jedem Selbstmitleid ganz nah dabei, da die Geschichte in der Ich-Form von Helen erzählt wird. Sie öffnet ihre Gedanken zur Vergangenheit, der Trennung der Eltern und wie dieses aktuelle Spannungsverhältnis in ihrer Familie entstanden ist. Ein ebenso großer Fokus liegt auf der Charakterisierung der Schwester Kristin und der Mutter. Leider konnte mich aber wirklich keine Figur aus der Geschichte für sich einnehmen. Zwischen mir und einjeder gab es eine unsichtbare Mauer.

Spannung: Mit diesem Punkt habe ich das größte Problem! In dem recht dünnen Buch wird die Spannung viel zu spät und nicht kontinuierlich genug aufgebaut. Man hat deutlich über die Hälfte der Geschichte hinter sich, wenn man endlich an den Punkt kommt, der im Klappentext beschrieben ist, nämlich, dass Leon tot ist und ermordet wurde. Ab jetzt beginnt das eigentliche Katz-und-Maus-Spiel, das Helen mit sich selbst spielt, da sie sich nicht an alle Augenblicke der Tatzeit erinnern kann und sich dadurch mit Selbstzweifeln quält. Sie vertraut sich selbst nicht mehr. Doch auch dabei springt mir die Autorin zwischen Helen, ihrer Schwester, ihrer Mutter und noch zwei weiteren Figuren zu oft hin und her. Ich wurde durch ständige Wiederholungen und der Tablettensucht von Helen aus dem Spannungsbogen herausgeholt. 

Schreibstil: Jutta Maria Herrmann hat eine tolle Art zu schreiben! Angenehm und flüssig lassen sich die Zeilen lesen und man fliegt förmlich durch das Buch. Eine gut gewählte Sprache zeichnet diesen Thriller aus, den ich sprachlich als überdurchschnittlich bezeichnen würde. Das ist spürbar eine Stärke der Autorin.

Stichworte: Amnesie, Krebs, Familie, Mord

Ende: Am Ende gibt es eine nicht so ganz unerwartete Verwicklung von Figuren, bei der Frage, wer denn Leon getötet haben könnte und warum. Der Kreis der Tatverdächtigen ist nicht sehr groß, außer, die Autorin schüttelt am Ende einen Ass aus dem Ärmel, an den man nicht hätte denken können. Doch so ist es nicht. Für mich jedenfalls war die Inszenierung und die Herleitung der Wendung am Schluss nicht ganz glaubwürdig. Das liegt insbesondere daran, dass die ursprüngliche Charakterisierung der Personen gegen das tatsächliche Handeln am Ende sprechen. Ich mag es nicht, wenn ich Änderungen / Wandlungen im Denken und Handeln von Figuren nicht nachvollziehen kann, wenn sie so ganz plötzlich auftreten, ohne dass man das als Leser mitverfolgen konnte. Als gelungen jedoch empfand ich das halb-offene Ende, das sehr gut zum Thema Amnesie passt. Ein sehr guter Kniff als Abschluss!

Fazit: Ein Psychothriller mit interessantem Thema, einer gut ausgearbeiteten und detaillierten Psychografie der Protagonistin, dem zum Spannungsaufbau insgesamt ein paar Seiten mehr gut getan hätten. Ein gutes Buch, das mich aber nicht bis ins letzte Detail überzeugen konnte.