Rezension

Tolles Buch

Mit Lampenfieber und Musik - Heike Sonn

Mit Lampenfieber und Musik
von Heike Sonn

Bewertet mit 5 Sternen

„...Chaos ist normal bei dieser Familie. Wundere dich nicht. Ich kann das beurteilen, ich lebe bei diesem Clan, aber keine Angst, die sind alle nett...“

 

Die 28jährige Tessa trifft in Kaufhaus auf Ben und seinen kleinen Bruder Andy, als sie unter den Tischen ihre Geldbörse sucht. Sie gehören zur Familienband Tyscon. Ein paar Mädchen sind gerade auf den Weg zu den beiden Musikern. Tessa reagiert für sie völlig ungewöhnlich. Sie schirmt die beiden ab, tauscht mit Ben den Mantel und macht einen Treffpunkt auf dem Weihnachtsmarkt aus. Dort erscheinen weder Ben noch Andy. Dafür stehen sie wenig später vor ihrer Wohnungstür.

Ben bietet Tessa an, für die Familie aus Kindermädchen zu arbeiten. Tessa fährt mit. Doch Ben hat die Rechnung ohne Inga, seine große Schwester gemacht.

Die Autorin hat einen abwechslungsreichen und amüsanten Gegenwartsroman geschrieben. Der Schriftstil ist leicht und locker und lässt sich gut lesen. Für den Humor sorgt zumeist Andy. Hier kommt seine Äußerung, als er Bens kaputte Brille sieht:

 

„...Oh, das Teil ist Schrott. Hab mich schon gewundert, dass du sie abgesetzt hast. Wie ist denn das passiert? Setzt der Trottelmodus schon mit Anfang 20 ein?...“

 

Im Mittelpunkt der Handlung aber steht eigentlich Tessa. Die junge Frau hat sich von ihrem Mann getrennt, weil der mit seiner Sekretärin zusammenlebt. Bisher hat Tessa ihr Leben immer nach den Wünschen anderer ausgerichtet. Erst war es die Mutter, dann der Ehemann. Ihr fehlt es an Selbstvertrauen und Durchsetzungsvermögen. Eines aber hat sie sich vorgenommen. Ihr neues Leben findet ohne Mann statt. Auch auf den Unterhalt ihres Ex verzichtet sie. Das kann ihre Mutter gar nicht begreifen.

Die Mutter leidet übrigens unter Kontrollwahn. Sie hat noch nicht begriffen, das ihre Tochter schon lange volljährig ist. Die wirft ihrer Tochter zum Beispiel an den Kopf:

 

„...Du hast schon eine gute Partie verjagt, du solltest nicht so wählerisch sein, so viel Qualitäten hast du nicht...“

 

In Bens Großfamilie fühlt sich Tessa schnell wohl, obwohl sie erst einmal auf ein Chaos trifft. Nach dem Tode der Eltern hält Inga die Fäden in der Hand. Und die ist misstrauisch. Es braucht Zeit, bis Inga begreift, dass Tessa wirklich nur die Arbeit will. Die Kinder der Familie fassen viel schneller zutrauen zu ihr.

Es ist schön zu lesen, wie Tessa innerlich wächst und an Selbstvertrauen gewinnt. Ein Problem aber bleibt. Ben zeigt ihr wiederholt durch kleine Gesten, dass er eigentlich mehr möchte als Freundschaft. Sie kann nicht leugnen, dass sie ihn mag. Das Herz sagt „ja“, der Kopf „nein“, denn sie ist ein gebranntes Kind. Ben lässt ihr Zeit.

 

„...Du kannst deinen eigenen Weg gehen, hier will keiner etwas von dir, was du nicht willst oder kannst...“

 

Völlig neu ist für Tessa, dass auch dann Zuneigung erfährt, wenn sei einen Fehler gemacht hat. Und sie begreift, dass auch in Bens Familie nicht immer alles eitel Sonnenschein war oder ist. Aber dort sind Fehler erlaubt. Dadurch lernt sie, ihrer Mutter konsequent gegenüber zu treten und Grenzen festzulegen.

Nicht vergessen möchte ich Sara, die nach dem Tode des Vaters das Sprechen aufgegeben hat, von der Familie liebevoll aufgefangen wurde und sehr feine Antennen für die Befindlichkeiten der anderen entwickelt.

Es gibt viele berührende Szenen im Buch, es gibt Gespräche, die voller Emotionen sind, und es gibt den inneren Kampf von Tessa zwischen Herz und Verstand. All das macht dieses Buch zu einem Leseerlebnis der besonderen Art.