Rezension

Too much?

Die stille Bestie
von Chris Carter

Bewertet mit 4 Sternen

"Die stille Bestie" handelt von LAPD Detective Robert Hunter, der einem wohlverdienten Urlaub entgegen sieht. Doch dann wird er nach Quantico gerufen, denn dort wurden durch einen Zufall zwei abgetrennte Frauenköpfe gefunden. Der Besitzer des Autos leugnet die Tat und will nur mit einem reden: Robert Hunter. Der Autobesitzer entpuppt sich als Lucien Folter, den Hunter aus seinen Studienzeiten kennt und den er als wahren Freund betrachtet hat. Doch ist Lucien Folter wirklich der Mann, dem der junge Robert Hunter mehr anvertraut hat, als je einem anderen Menschen zuvor?

"Die stille Bestie" ist bereits der sechste Band rund um Detective Robert Hunter und dennoch liest man dieses Buch und muss feststellen, dass der Autor seine im Vorwort getätigten Worte vollkommen eingehalten hat: dieses Buch ist so ganz anders als die 5 Bände davor. Sich neu zu entfinden und dennoch das Niveau, was man erreicht hat, zu halten, das ist wahrlich eine Herausforderung, darum berichte ich nun, ob Chris Carter mit "Die stille Bestie" ebenfalls überzeugen kann.

Ich hoffe ja immer, dass wir endlich mal tiefer in die Psyche von Robert Hunter, aber auch in die seines Parterns Carlos Garcia eintauchen dürfen. Letzterer spielt in diesem Band überhaupt keine Rolle (erzähllogisch aber absolut logisch umgesetzt, also verziehen!), aber Robert Hunter lernt man tatsächlich so kennen, wie man ihn noch nie kennen gelernt hat. Man erfährt Dinge durch seine Handlungsweise und durch Offenlegen von Geheimnissen seiner Vergangenheit, die ihm einen näher bringt. Man lernt ihn besser zu verstehen und ich bin wirklich bei seiner Figur angekommen. dafür alleine hat sich der 6. Band schon gelohnt! Überraschend ist dies nur, weil Robert Hunter eigentlich fast zur Nebenfigur wird, der eigentliche Protagonist dieses Thrillers ist Lucien Folter!

Aber eins nach dem anderen: das Buch fängt alleine schon ganz anders an. Es passiert eine Episode gleich zu Anfang, bei der man sich fragt, zu was führt das ganze jetzt? Und das zieht sich durch das ganze Buch. Man weiß bereits durch den Klappentext, dass es um Roberts Studienkollegen geht und dennoch kann man nicht mal erahnen, auf was dieses Buch letztlich hinsteuert. Der Täter ist bereits da und er ist stolz auf seine Taten und er genießt es, wie er das ganze FBI nach seiner Pfeife tanzen lassen kann. Die Spannung, die Carter normalerweise mit der Suche nach dem Täter und seinem Motiv herstellen kann, ist hier also nicht gegeben. "Die stille Bestie" funktioniert anders. Hier erhält man tiefe Einblicke in die Psyche eines Täters, so tief habe ich das noch in keinem anderen Thriller empfunden. Aber ist das spannend? Nein, ich denke nicht, dass das für Spannung sorgt, es ist einfach nur genial geschrieben und kann dadurch alleine schon den Leser bei der Stange halten. Aber Chris Carter wäre nun mal auch nicht Chris Carter, wenn er die Spannung nicht trotzdem einarbeiten würde. Er schafft das durch die hoch perversen, brutalen und tief psychologischen Spielchen, die er mit Hunter und dem ganzen FBI treibt. Immer mal wieder werden Schocker eingearbeitet, die die Perversität des Täters noch mal steigern oder eben Interessantes über Hunter hervorholen. Aber ich habe mich dabei erwischt, wie ich mich fragte: reicht das jetzt nicht mal? Carters Täter war immer schon brutaler als die aller anderen und er konnte sich immer noch mal steigern. Lucien Folter ist sicherlich noch mal eine Steigerung, aber für den Leser wirklich noch erträglich? Manchmal war das ganze schwer zu ertragen, weil man so tief in die Psyche des Täters eintauchen konnte, dass man fast davon fasziniert war. Und wer will schon von so einem Täter fasziniert sein? Das sehe ich also mehr als zwiespältig.
Der letzte Teil ist dann wieder der klassiche Carter: spannend, spannend, spannend mit Hunter als dem großen Held, so wie es dann doch am liebsten habe!

Fazit: Chris Carter hat in "Die stille Bestie" wirklich was anderes geschafft. Auch das kann überzeugen, weil es neue Perspektiven auf Täter und auf Ermittler eröffnet. Wie ich Robert Hunter endlich "wirklich" kenne lernen durfte, dafür hat es sich alleine gelohnt! So spannend auch der Blick auf den Täter war, es wurde mir irgendwann zu viel, fast schon unrealistisch. Ich will im nächsten Band lieber wieder das übliche Schema und das nun mit einem Hunter, den ich besser kenne, als jemals zuvor!