Rezension

Trauer, Liebe, Freundschaft, Wahn - das sind die Themeninhalte dieses grandiosen Buches

Sag mir, was du siehst
von Zoran Drvenkar

Bewertet mit 5 Sternen

Alles fängt mit einem nächtlichen Besuch auf dem Friedhof an. Alissas Vater ist vor sechseinhalb Jahren gestorben. An Weihnachten. Seit dem besucht Allisa ihn jährlich an seinem Todestag, begeleitet von ihrer besten Freundin Evelin. Daran ändert auch der stürmische Schneefall nicht der durch ganz Berlin tobt. Auf dem Friedhof angekommen, können sie das flache Grab aufgrund des vielen Schnees nicht auf Anhieb finden und beschließen getrennt die Grabreihen frei zu machen. Als das auch nicht hilft, gehen sie zur Orientierung Richtung Mausoleum. Dabei stürzt Alissa in die Gruft. Während Evelin Hilfe holt um ihre Freundin zu befreien, macht diese im Inneren der Gruft eine Entdeckung die ihr Leben auf den Kopf stellen wird!

Schon vor "Still" konnte mich Zoran Drvenkar mit "Sorry" begeistern und schnell war klar: Ich brauche mehr! Und so holte ich mir nach und nach weitere Werke des Autors. Wenn man sich die Liste meiner Lieblingsautoren anschaut, sucht man jedoch vergeblich nach einer Rezension von ihnen. Also setzte ich mir dieses Jahr als persönliches Ziel, Bücher meiner Lieblingsautoren entsprechend zu würdigen und den Bann der Nicht-Rezensionen zu brechen! Und so machte ich mich an das Re-Read dran.

Es ist vor allem Drvenkars Schreibstil der mich neben seiner bildhaften Metaphern immer wieder zu seinen Büchern greifen lässt. In gewohnter Drvenkar Manier kommen die wichtigsten Protagonisten Alissa (Das Winterkind), Evelin (Die Freundin), Elia (Der Heilende) und Simon (Der Liebende) selbst durch die Erzählwechsel aus den jeweiligen Perspektiven zu Wort, ebenso wie die Nebenfiguren Evelinas Vater (Der Vater der Freundin), Robert, Alissas Stiefvater (Der Stiefvater),  Sarah, Alissas Mutter (Die Mutter) und Nina (Die Unsichere). Die Folge ist ein besseres Verständnis für die Figuren und ein sich langsam aufbauender Spannungsbogen der an Stärke gewinnt! Untermalt werden die einzelnen Erzählstränge noch von einem zusätzlichen Erzähler, der die Situationen von Außen betrachtet und wiedergibt.

Trotz seiner geringen Seitenzahl von 270 schafft es "Sag mir, was du siehst" perfekt bei mir, den Figuren eine emotionale Dichte zu geben und somit eine tiefe Verbindung zu Alissa und Evelin aufzubauen. So ist Alissas Trauer über den Tod ihres Vaters nahezu greifbar.

"Eine Weile lang hatte ich das Gefühl, meinen Vater verloren zu haben. Das ist Ewigkeiten her. Ich weiß jetzt, dass mein Vater immer bei mir ist. Nichts kann ihn aus meiner Erinnerung löschen. Und weil ich das weiß, verfluche ich heute Nacht den Winter und kämpfe mich durch dieses Schneetreiben. Es ist nicht einfach, sein Leben mit einem Toten zu teilen. Es ist aber um einiges besser, als jemanden zu vergessen und mit seinem eigenen Leben fortzufahren, als hätte es nur eine Werbepause gegeben und nichts weiter wäre geschehen."
S. 12

Die innige Freundschaft zu Evelin fängt sie wie ein Sicherheitsnetz auf und man wünscht sich selbst so eine gute Freundin wie Evelin eine ist.

Freundschaft, Trauer, Liebe und Wahn sind die zentralen Themen dieses Buches und sorgen abwechselnd für ein breites Lächeln im Gesicht oder einen dicken Kloß im Hals. Vielleicht sogar für Tränen.

"Sag mir, was du siehst" bedient sich Fantasy-Elementen. Was mir dabei gut gefällt ist, dass man nach dem Lesen der Geschichte, diese auch aus einem anderen Blickwinkel betrachten kann. Es macht gleichermaßen das Unmögliche Möglich wie das Mögliche Unmöglich.Hier näher darauf einzugehen ist leider nicht möglich ohne zu Spoilern. Lest selbst und ihr werdet meinen Satz verstehen.