Rezension

Trotz sehr zurückgenommenem Schreibstil, eine wahnsinnig eindringliche und wichtige Geschichte!!

Kim Jiyoung, geboren 1982 -

Kim Jiyoung, geboren 1982
von Nam-joo Cho

Bewertet mit 5 Sternen

》INHALT:

Kim Jiyoung ist ein Mädchen, dessen Großeltern sich einen Jungen gewünscht haben.

Kim Jiyoung ist eine Tochter, deren Vater sie dafür verantwortlich macht, wenn sie belästigst wird.

Kim Jiyoung ist die perfekte Angestellte, und sie wird trotzdem nicht befördert.

Kim Jiyoung ist eine Ehefrau, die ihren Beruf aufgibt für ein Leben als Hausfrau und Mutter.

Kim Jiyoung benimmt sich plötzlich seltsam.

Kim Jiyoung ist verrückt.

Kim Jiyoung ist wie jede Frau.

 

》EIGENE MEINUNG:

Hier ist mir das Cover des Buches geradezu entgegen gesprungen. Die Farben sind knallig und doch stimmig. Das leere Gesicht der abgebildeten Frau repräsentiert für mich viele Frauen weltweit, die sich in der ein- oder anderen Situation in diesem Buch sicher wieder finden werden. Der Titel ist durch die Gestaltung gut herausgearbeitet, der dunklere Buchrücken hebt sich nochmal extra ab. Das Format ist mit seinen 12,2 x 2,1 x 19,4 cm sehr angenehm zu halten. Ein Lesebändchen hätte die Gestaltung für mich perfekt gemacht!

Gleich zu Beginn möchte ich kurz erwähnen, dass ich mich als keine Feministin betrachte und das grundsätzliche Verteufeln der Männerwelt absolut nicht vertrete. Ich glaube fest daran, dass gegenseitiges Verständnis ein Schlüssel zur Gleichberechtigung ist und das gilt in beide Richtungen! Aber natürlich kenne auch ich Situationen von Alltagsungerechtigkeit gegen Frauen und weiß von noch vielem darüber hinaus und „Kim Jiyoung, geboren 1982“ konnte mich zu diesem Thema absolut begeistern!

Ich finde es sagt durchaus etwas, dass Cho Nam-Joo mit ihrem Roman so viele Menschen auf internationaler Ebene ansprechen konnte. Dazu hat meiner Meinung nach viel beigetragen, dass der Schreibstil außergewöhnlich ruhig, minimalistisch und doch messerscharf ist! Es wird so geschrieben, dass nicht das Erschlagen mit Emotionen, sondern die absolut Realitätsnähe mir ans Herz gegangen ist. Ich bin kein Kenner von asiatischer Literatur, aber in unserer Leserunde wurde dies hierfür als teils sehr typisch beschrieben – mich konnte es, gegen meine Erwartungen, sehr fesseln. Hinzu kommen einige Fußnoten, die die fiktionale Erzählung mit realen wissenschaftlichen Artikeln und Zahlen untermauern und den Roman für mich damit noch eindringlicher werden lassen.

Nachdem wir Kim Jiyoung im Herbst 2015 kennenlernen, durchwandern wir mit dem Erzähler die Jahre 1982 – 1994 (Kindheit), 1995 – 2000 (Jugend), 2001 – 2011 (Ausbildung und Beruf) und 2012 – 2015 (Ehe). Diese Lebensabschnitte enden für den Leser mit einer Art Epilog aus dem Jahr 2016. In dieser Zeit verfolgen wir aber nicht nur Kims Leben, sondern erfahren auch etwas über ihre Mutter und deren Familie, Freundinnen, Arbeitskollegen/-innen und am Ende sogar ihren Psychiater. Kim selbst ist eine sympathische Frau, deren Leben wohl wirklich vielen anderen ähnelt – und doch wird mir ihre Geschichte lange im Kopf bleiben.

Meine Geschichte ist bisher, durch viele verschiedene Gründe, eine ganz andere. Und doch kannte ich einige der beschriebenen Situationen – wenn nicht von mir, dann von Freundinnen, meiner Schwester, anderen Familien, Dokumentationen etc. Vielleicht war das Lesen gerade dadurch so eindringlich, dass die Situationen – trotz anderem Heimatland, trotz anderer Lebensgeschichte usw. – so universell sind und man doch immer weiß, dass es sie so nicht geben dürfte: Die Bevorzugung von Brüdern, die Vorurteile über Mädchen beim Sport, die Schuldzuweisung bei „falscher Kleidung“ in Bezug auf Belästigung, gesellschaftliche Strukturen die dazu führen, dass meist Frauen ihren Job bei Familiengründung aufgeben… Auch wenn gerade Jiyoung Kindheit mit unserer wohl nicht zu vergleichen ist, gibt es genug Identifikationspotential mit dieser durchschnittlichen jungen Koreanerin.

Laut Buchbeschreibung hat diese Prosa nicht nur viele Leserinnen weltweit begeistert, sondern auch Massenproteste in Korea ausgelöst.

 

》FAZIT:

Ja, jeder Frau (vielleicht auch jedem Mann) wird in diesem Buch etwas Bekanntes begegnen und ich hoffe es geht allen so nah wie mir. Das Bewusstsein und das gegenseitige Verständnis sollte stetig weiter wachsen, damit alle zusammenarbeiten können. Eine vielleicht „alltägliche“, aber so starke und außergewöhnlich geschriebene Geschichte!