Rezension

Trubel im kleinsten Staat des Deutschen Reiches

Unsereins -

Unsereins
von Inger-Maria Mahlke

Bewertet mit 4 Sternen

Die "Buddenbrooks" mal aus einer ganz anderen Perspektive betrachten - das ermöglicht Mahlke in ihrem Roman, der zwischen 1890 und 1906 in Lübeck (im Roman stets nur als "der kleinste Staat des Deutschen Reiches" bezeichnet) angesiedelt ist, Entstehungszeit und -ort von Manns Roman. Und, ja, auch er selbst wird porträtiert, tritt auf als Tommy "der Pfau" Mann, vielversprechender Schüler, beobachtet durch die Augen seines Mitschülers Georg. Dieser wiederum kann nicht verstehen, was an der Zukunft als Kaufmann so toll sein soll, und fühlt sich selbst kaum aufgenommen in dieser für ihn neuen Stadt.

Doch Mahlkes Roman bietet viel mehr als nur die Nacherzählung eines Klassikers von der anderen Seite, denn es herrscht geschäftiges Treiben im kleinsten Staat des Deutschen Reiches; jede*r hat hier etwas zu erzählen. Da wären zum einen zwei Familien, die Schillings und die kinderreichen Lindhorsts, zum anderen deren Bedienstete und Bekannte; nicht immer ist es leicht, zwischen all diesen Namen und Perspektiven die Orientierung zu behalten, wobei einige - etwa Ratsdiener Isenhagen - für mich auch deutlich herausgestochen haben.

Es ist ein komplexes Sittenbild, das Panorama einer Stadt, das Mahlke hier in ihrem Roman zeichnet. Persönliche Sorgen stehen neben familiären Uneinigkeiten und politischen Wendungen, Schüler neben Senatoren und Hausmädchen (und Bäckermeister Bannow, der gar kein Bäcker ist). Und obwohl es da so viel zu entdecken gibt in Mahlkes Worten, ist stets auch all das besonders präsent, was nicht explizit erzählt wird, was nur zwischen den Zeilen steht oder sich hinter dem ungezwungen mitschwingenden, lockeren Humor verbirgt.
Vieles erschließt sich erst im Nachhinein, und man braucht ein gewisses Durchhaltevermögen, um hier dranzubleiben; beziehungsweise eher den Willen, das Geflecht an Figuren und Handlungen zu durchdringen, denn "durchhalten" ist eigentlich das falsche Wort - dafür liest sich der Roman viel zu spannend. Aber aufmerksam lesen sollte man schon, wenn man die Feinheiten der zwischenmenschlichen Beziehungen und politischen Anspielungen mitbekommen möchte, die Mahlke in ihrem Roman versteckt.

"Unsereins" ist für mich ein Roman, der wirklich Spaß macht. Ja, er ist komplex und manchmal auch etwas verwirrend durch die vielen Figuren und Perspektiven. Aber ich mag Romane, in denen auf diese Weise viel los ist, in denen man plötzlich zu einer anderen Figur springt und sich denkt "Ah, die wieder!" und dann gespannt darauf ist, wie der entsprechende Handlungsstrang weitergeht, bevor man dann zur nächsten springt. Natürlich mag man dabei immer die ein oder andere Figur etwas mehr oder weniger, aber für mich ist es das Gesamtbild, das sich daraus ergibt, das das große Ganze ausmacht.
"Unsereins" ist ein Roman, der sich beim Lesen sehr lebendig anfühlt, in dem immer etwas los ist und der die unterschiedlichen Figuren durch alle Gemütslagen begleitet (und dabei auch nicht an Tiefe vermissen lässt). Auch, wenn sich am Ende nicht alles klärt, ist der Roman für mich vollständig und ich habe sehr unterhaltsame Lesestunden damit verbracht. Mag ich!