Rezension

Trügerisch leicht

Meine verlorene Freundin -

Meine verlorene Freundin
von Milena Busquets

Bewertet mit 5 Sternen

"Für die Erziehung des Gefühls, des weiblichen wie des männlichen, waren von jeher Frauen zuständig."

Busquets (namenlose) Erzählerin, die mit der Autorin eine Menge gemeinsam hat, besucht mit ihren Freunden ein Restaurant und eine Erinnerung kommt hoch: Dieses Restaurant hat einmal den Eltern ihrer Freundin Gema gehört. Gema ist im Alter von 15 Jahren an Leukämie gestorben.

Die Erzählerin ist verwundert, wie wenig von ihrer Freundin sie erinnert. Ihre Erinnerung scheint ihr geradezu Streiche zu spielen, denn: Ist das letzte Zusammentreffen mit der Freundin, das einzige, das sie noch lebhaft vor Augen hat, tatsächlich so geschehen? Und da sie sich derzeit ohnehin in einer Phase der Orientierung befindet, auch in Bezug auf ihre Liebesbeziehung, beginnt sie halbherzig zu recherchieren. Aber sie findet nichts. Weder analog, noch digital, und ist irritiert: „Als würde es die namenlosen Vielen, die vor dem Zeitalter des Internets gelebt und gestorben waren, nicht geben, als wären sie verschwunden, ohne eine einzige Spur zu hinterlassen.“

Unter diesen Suchbewegungen reflektiert sie ihr Leben mit ihren beiden Söhnen, die Beziehung zu deren Vätern (ihren beiden Expartnern), ihren Mangel an echten Freundschaften, ihre Beziehung zu Bruno, einem populären Schauspieler, ihre Tätigkeit als Autorin und Übersetzerin. Ihre Gedanken drehen sich um Tod, Erinnerung, Freundschaft, die Wahrhaftigkeit und Vergänglichkeit der Liebe – die großen existentiellen Themen eines Lebens. Das klingt ziemlich schwer und düster – aber genau das ist Busquets Roman ganz und gar nicht. Kein melancholischer Abgesang voller Schwermut, kein Beklagen eines zu kurzen Lebens. Vor allem aber keine vollständige Geschichte einer Mädchenfreundschaft, die in der Erinnerung Stück für Stück aufgerollt wird, um am Ende ein lebhaftes Bild der verstorbenen Freundin zu ergeben.

Im Gegenteil stellt die Erzählerin fest, dass ihre Erinnerung flüchtig ist und sich nicht fassen lassen will. Sie ist „Ein permanenter und trügerischer Durchsatz im Gedächtnis, ein beständiges Kommen und Gehen, tatsächlich erinnerten wir uns an sehr Weniges, an einer Hand abzuzählen, alles andere erfanden wir oder borgten es uns.“ Letztendlich ist „Meine verlorene Freundin“ kein Memoir, sondern ein Roman über das Vergessen. Die Reflektionen über Gema sind Ausgangspunkt für gedankliche Exkurse in alle möglichen Richtungen.

So philosophiert die Erzählerin (unter anderem) über die Rolle der Frauen in ihrem Leben: „Als wir anfingen, mit Jungs zu gehen, wussten wir bereits sehr gut, was es bedeutete, eine lange und schwierige emotionale Beziehung zu führen. Die erste hatten wir mit unseren Müttern erlebt, die zweite mit unseren Freundinnen.“ Mich hat die heitere Illusionslosigkeit amüsiert, mit der die Erzählerin nicht nur ihr Umfeld, sondern auch sich selbst betrachtet: „Kurz war ich hin- und hergerissen zwischen Empathie und meinem Naturell,“ stellt sie ironisch fest.

In dieser Manier könnte ich noch viele Passagen zitieren, die klug, provokant, witzig oder alles gleichzeitig sind. Zum Thema Schreiben vermerkt sie: „Um zu schreiben, musste man sich notwendig für Gott halten, man schrieb von den höchsten Höhen herab.“ Und: „Es gibt nichts und niemanden, was ein Autor nicht bereitwillig gebrauchen (und verhackstücken) würde, wenn ein guter Satz oder Absatz dabei heraussprang.“

Gute Sätze und Absätze kann man in diesem Roman zuhauf finden. Ein trügerisch leichtes Lesevergnügen, dessen sinnliche und leichtlebige Erzählerin dazu verführt, über seine Tiefen hinwegzulesen. Am Ende resultieren die Recherchen und Reflektionen der Protagonistin, auch wenn sie vordergründig ergebnislos bleiben, in einer Art milder Katharsis. Eine Entwicklung, vielleicht auch Reifung, hat stattgefunden. Man liest es mit billigender Genugtuung. Ein ungewöhnlicher Roman!