Rezension

TV-AUTOR GEHT UNTER DIE BUCHAUTOREN - EHER ENTTÄUSCHEND

Die Toten von Marnow - Holger Karsten Schmidt

Die Toten von Marnow
von Holger Karsten Schmidt

Bewertet mit 2 Sternen

Dieser Roman macht es dem kritischen Leser sehr schwer, zu einem eindeutigen Urteil zu gelangen: wieder und wieder liefert er rasante action-Szenen, die die Herkunft des Autors aus der Fernsehbranche verraten, dann wieder ist die Handlung langatmig, abstrus und uninteressant.  

Der Einstieg in den Text gehört in die Kategorie no nonsense: ohne Umschweife wird die Handlung in Gang gesetzt, der Leser konfrontiert mit allerlei Details, die einzuordnen in diesem Stadium schlechterdings unmöglich ist. Immerhin wird der Name der Ortschaft genannt, die für diesen Roman titelgebend ist. Kontrastprogramm dann die Fortsetzung des Geschehens: kleinbürgerliche Kulisse mit Anwandlungen zum Größenwahn. Wer selbst unmittelbar nach der Wende als Wessi in den neuen Bundesländern gearbeitet hat, für den hat die Szene Wiedererkennungswert. Größer, schöner, vor allem teurer. Frühzeitig beginnt der Leser, sich um Elling Sorgen zu machen. Die folgenden Handlungsschritte aus dem kriminalistischen Arbeitsalltag wiederum arbeiten mit bekannten Versatzstücken: ein bisschen Schock, ein bisschen Grusel, aber dann menschelt es ganz gewaltig.

Kein Krimiautor glaubt, ohne ausführliche Details aus dem Privatleben seiner Ermittler auskommen zu können. Vorhersehbar, dass die beiden Hauptakteure als sorgsam abgestimmtes Paar voller Kontraste daherkommen. Lonas Charakterisierung hebt dabei erwartungsgemäß das Muster als apart-unkonventionelle Exotin hervor, Ellings dick aufgetragene Spießigkeit wird immerhin durch den Hinweis auf die Schärfe seines Verstandes gemildert. Diese Figur ambivalent zu nennen, ist noch milde ausgedrückt. Seine zweifelsfrei existenten Fähigkeiten werden überdeckt durch seine Charakterschwäche, die dadurch zum Tragen kommt, dass er ohne Not sich in eine Zwangslage bugsiert, die für ihn kaum noch zu handlen ist. Pool, Auto für die Tochter - Stein für Stein lädt er sich eine Last auf, die ihn voraussichtlich irgendwann untergehen lassen wird. Ebenso mehrdeutig ist seine Kollegin Lona angelegt. Ihre Individualität trägt sie allzu provokant auf einem Präsentierteller vor sich her. Wie gut sie mit diesem Naturell bei ihren schlichter gestrickten Kollegen in Meck-Pomm ankommt, wird sich zeigen. Ihre Bereitschaft, Elling zu decken, ist mehr als anrüchig. Ein Beispiel für einen Korpsgeist, den wir im wirklichen Leben kritisieren, der hier im Roman aber für Lona punkten soll. Die Figur Elling wird im Verlauf der Handlung immer abstruser. Treusorgender Ehemann, Vater und auch noch Sohn, kaum zu übertreffen, bloß halt ohne jedes rechte Maß. Um dann zwischendurch mal kurz zum Rachegott zu mutieren. Die Aktion, Krohn das Leben zu retten, nachdem Lona ihn vorher umgenietet hat - wie glaubwürdig ist das denn? Überhaupt kommen alle Figuren nicht über das Profil von Pappkameraden hinaus. Egal ob der Ministeriumsmensch, Chef Mertens, von prägnanter Charakterzeichnung keine Spur, die Dialogführung ist zum Erbarmen, und sprachlich ist der ganze Roman eher mühsam.  

Besonders das sprachliche Gestaltungsniveau lässt sehr zu wünschen übrig. Sprachlich wird dieser Roman kontinuierlich schlechter! Auch Unterhaltungsliteratur, wozu die Gattung Krimi zu zählen ist, sollte mit Sorgfalt geschrieben werden!  

Von der Handlung her bietet der Roman natürlich rasantes Lektürefutter. Das plötzlich involvierte LKA lässt auf zukünftiges Kompetenzgerangel spekulieren, und die Episode mit der Hamburger Arzneimittelfirma weckt erwartbare Aversionen gegen die Pharmaindustrie. Es wird buchstäblich jede Sau durchs Dorf gejagt, alle Aufreger unserer Nation werden brav abgehandelt.  

Insgesamt also ein handwerklich ganz ordentlich gemachter Krimi, unterhaltsam, aber nicht exorbitant. Gesamteindruck: große Enttäuschung! Gerade die Einbettung historischer Konstellationen in eine Krimihandlung erfordert höchste Könnerschaft. Nicht umsonst signalisiert eine komplexe geschichtliche Ausgangssituation, dass ein Roman den Anspruch erhebt, das Niveau üblicher Krimikost zu übersteigen. In der jüngeren Vergangenheit gab es zwei Veröffentlichungen, die als positive Beispiele für die Verknüpfung der deutsch-deutschen Vergangenheit mit einem gut gemachten Krimiplot zu nennen sind: „Die Tote im Wannsee“, geschrieben von einem Autoren-Trio, von dem einer tatsächlich auch der Zunft der Drehbuchautoren zugehörig ist, ebenso wie Andre Georgi, der Verfasser von „Die letzte Terroristin“. Es ist also machbar!