Rezension

Über das Alleinsein und der Weg zu einem selbst

Die Letzte macht das Licht aus -

Die Letzte macht das Licht aus
von Bethany Clift

Bewertet mit 4.5 Sternen

In Bethany Clifts Debütroman “Die Letzte macht das Licht aus” greift ein höchstansteckendes Virus um sich. Es ist das Jahr 2023 und die Welt steht kurz vor dem Abgrund. Denn 6DM, oder Six Days Maximum, hat eine Todesrate von 100%. Oder zumindest fast. Denn die Protagonistin des Romans überlebt das Virus als einzige. Nachdem sie ihrem Mann, ihren Nachbarn und Kollegen beim Sterben zusehen musste, findet sie sich in einem verlassenen London wieder. 

Es war nicht das Thema der Pandemie, welches mich bei diesem Roman angesprochen hat (das wäre für mich sogar eher ein Grund dafür gewesen, ihn nicht zu lesen), sondern weil seine Inhaltsangabe mich an “Die Wand” von Marlen Haushofer erinnert hat oder auch an “Vom Ende An” von Megan Hunter. Beide Romane versetzen ihre Protagonistinnen in Extremsituationen, in denen sie lernen müssen, mit der neugewonnenen Freiheit und Unabhängigkeit umzugehen. Es ist der Bruch mit der Gesellschaft, mit vorgeschriebenen Rollenbildern und Erwartungshaltungen, der dazu führt, dass die Frauen zum ersten Mal die Möglichkeit haben, zu sich selbst zu finden. 

Auch in Clifts Roman ist dies so. Ihre Protagonistin blickt zurück auf Lebensjahre, in denen sie ihre eigenen Ansprüche an das Leben und ihr eigentliches Wesen den Erwartungen von Männern untergeordnet hat. Nach außen hin wird sie zu einer “perfekte[n] Frau. Ich hatte keine Schwächen, keine Fehler”. Doch innerlich herrschen Chaos und Depressionen; Panikattacken und Selbstzweifel plagen sie. 

Die Pandemie, das Alleinsein und die Freiheit sind die Voraussetzung dafür, dass die Protagonistin sich aus dem gesellschaftlichen Korsett, in das sie jahrelang gezwängt wurde und das ihr immer mehr die Luft zum Atmen genommen hat, befreien kann. Das Virus und seine Folgen bilden somit den Hintergrund für den Weg, den Clifts Protagonistin beschreiten muss, um zu lernen, wer sie sein kann und sein will. 

Ein Hintergrund, der es, und das darf nicht ungesagt bleiben, in sich hat und nicht selten an Cormac McCarthys “Die Straße” erinnert. Der totale Zusammenbruch der menschlichen Zivilisation dauert nur einige Tage. Dann machen sich ganze Scharen von Ratten, Wölfen, Möwen und Hunden breit. Ohne zu zögern und auf unnachgiebige und rücksichtslose Weise übernimmt die Natur den ehemaligen Lebensraum der Menschen. 

Trotz dieses dunklen und voller Gefahren lauernden Backdrops gelingt es der Autorin, immer wieder kleine Momente voll Humor in die Geschichte einzubauen, die nie fehlplatziert wirken. So heißt es beispielsweise: “Als bekannt wurde, dass es gegenwärtig nur eine Teeplantage im ganzen Vereinigten Königreich gab, kam es zu Unruhe.” 

“Die Letzte macht das Licht aus” ist überzeugend, vielleicht auch gerade deshalb, weil wir selbst noch mit einer Pandemie zu kämpfen haben, wodurch die im Roman beschriebenen Ereignisse wahrscheinlich und denkbar wirken. Das wäre vor zwei Jahren vielleicht noch nicht der Fall gewesen. Aber auch davon abgesehen hat der Roman etwas zu bieten, nämlich die Reise in die Unabhängigkeit der Protagonistin.