Rezension

Über die Grenze und weit darüber hinaus

WIE SCHATTEN ÜBER TOTEM LAND - S. Craig Zahler

WIE SCHATTEN ÜBER TOTEM LAND
von S. Craig Zahler

Bewertet mit 4.5 Sternen

Mexiko, 1899 – Das Oberhaupt der Familie Plugford ist getrieben von einem Wunsch: Seine beiden Töchter aus der Gewalt eines sadistischen Bordellbetreibers, der sie entführt hat, befreien und Rache für diese Tat üben. Gemeinsam mit seinen beiden Söhnen, dem farbigen Koch, einem Revolverhelden, einem Indianer sowie dem angeheuerten Gentlemen Nathanial Stromler machte er sich deshalb auf den Weg in die Catacumbas. Hier sollen die beiden Frauen gefangengehalten werden und den reichen Männern zu Diensten sein. Doch die Rettungsmission mutiert schnell zu einem wahr gewordenen Albtraum, einem alles verschlingenden Sog aus Gewalt und Tod, dem sich keiner entziehen kann.

Leseeindruck

"Wie Schatten Über Totem Land" (OT: Wraiths of the Broken Land) von S. Craig Zahler ist ein Hardcore-Western, der es wirklich in sich hat. Schon das erste Kapitel lässt daran keinen Zweifel, Zartbesaitete sollten einen großen Bogen um dieses Buch machen. Für mich war diese Geschichte ein Faustschlag in den Magen; eine Reise, die mich unsanft durchgeschüttelt und am Ende wieder ausgespukt hat. Dreckig, blutig, brutal und wahnwitzig aber auch ein Augenöffner, denn es ist nicht die offensichtliche Gewalt, die mich gefesselt hat, sondern die zentralen Motive dieser Story: Zusammenhalt, Grenzerfahrung und Wiederherstellung der Gerechtigkeit mit allen verfügbaren Mitteln. Die Gewalt ist schockierend und abstoßend, hier aber nicht Mittel zum Zweck, sondern logische Konsequenz und muss überwunden, ausgehalten werden. Auch aus Bösem kann Gutes erwachsen, doch ob dies auch hier der Fall ist, muss man sich selbst erlesen.

"Gott verdamme diese elendige Scheißwelt! Ich hasse alles an ihr – ALLES!"

Wie man der Inhaltsbeschreibung schon entnehmen kann, ist die Grundidee dieser Story alles andere als neu, doch Zahler (Schriftsteller, Drehbuchautor, Kameramann und Regisseur) drückt ihr seinen ganz eigenen Stempel auf, lässt sie roh, wild und ungeschliffen auf den Leser los, lehnt sich zurück und betrachtet die (Aus)Wirkung. Die Wahl seiner völlig unterschiedlichen Charaktere lässt tief blicken. Es gibt einen Schwarzen, Patch-Up genannt, der in den engsten Familienkreis aufgenommen wurde und – obwohl nach außen hin lediglich "Mädchen für Alles" – besitzt er großen Einfluss auf die gesamte Familie Plugford. Er ist sich seines Einflusses bewusst und setzt in weise ein, fungiert als stiller und robuster Ratgeber im Hintergrund. Außerdem gibt es da noch den Indianer Deep Lakes, ein treuer Freund und Wegbegleiter der Familie. Seine Fähigkeiten sind unbezahlbar. Long Clay ist ein alter Revolverheld – gefährlich, unverwüstlich, listig, vorausschauend, skrupellos und unerbittlich lebt er seine ganz eigenen Moralvorstellungen. Vater und Söhne Plugford sind (wie so oft in einer Familie) sehr unterschiedliche Charaktere, tragen aber alle ein tiefes Zusammengehörigkeitsgefühl und Liebe füreinander in sich. Eine der Figuren, die wohl die größte Entwicklung durchmacht, ist aber Nathanial Stromler. Er ist ein glückloser Dandy mit einer schwangeren Verlobten und einem Hotel, das er wieder aufbauen möchte. Zu diesem Zweck braucht er Geld und lässt sich von den Plugfords zu einem Vermittlerjob anheuern. Vom Hintergrund der Mission erfährt er zwar sofort, seine Rolle bei deren Erfüllung allerdings war weitaus ungefährlicher geplant. Aber wie so oft im Leben kommt es eben meist anders als man denkt. Und so findet er sich allsbald in einem brutalen Krieg wieder, den er nur überleben kann, wenn er lernt zu kämpfen, Zweifel und Skrupel loszulassen ... und zu töten.

"Obwohl der Gentlemen wusste, dass es ihn unwiederbringlich verändern würde, einen anderen Mann zu töten, gestand er sich ein, dass er schon verändert war – sich seiner Sterblichkeit auf physische Weise bewusst und gewahr, dass seine meistgeschätzten Ansichten die Welt, die gewaltsam um ihn herum stattfand, nicht änderten."

Vor allem Nathaniel durchlebt hier also eine Grenzerfahrung, deren Ausgang an dieser Stelle natürlich ungewiss bleiben muss. Diesen rohen Marsch muss der Leser selbst erdulden; mit den Frauen und Männern gemeinsam durch Schmerz, Wut, Verzweiflung, Glauben und Hoffnung gehen.

Ein Haar in der Suppe gibt es, allerdings kann ich dessen Länge und Dicke nur schwer einschätzen, da ich nicht weiß, ob es der Übersetzung geschuldet ist oder nicht. Der Lesefluss gestaltete sich besonders am Anfang etwas schwerfällig und holprig. Es gibt viele Verschachtelungen bei den Sätzen, die unrund wirken und oft auch unnötig verkomplizieren. Das besserte sich aber im Verlauf, ob nun durch Gewöhnung oder Verminderung der Problematik.

Fazit

Dieser Western ist schonungslose, brutal ehrliche und ungeschönte Lesekost. Eine Grenzerfahrung eben, an der man noch lange zu Kauen hat, und die mich gerade deshalb sehr begeistern konnte. Achtung: Nichts für schwache Nerven, es gibt Szenen, die einem die Mimik vor Ekel und Abscheu entgleisen lassen. Von mir gibt es 4,5 von 5 rauchenden Colts für diesen krassen und brutalen Hardcore-Ritt.