Rezension

Über einen ehrgeizigen und skrupellosen Schriftsteller

Die Geschichte eines Lügners
von John Boyne

Bewertet mit 4 Sternen

REZENSION – Erst mit dreijähriger Verspätung erschien im Januar beim Piper Verlag mit „Maurice Swift. Die Geschichte eines Lügners“ der neue Roman des Bestseller-Autors John Boyne (49), der vor 15 Jahren mit „Der Junge im gestreiften Pyjama“ international bekannt wurde. Diese mehrjährige Verzögerung ist bedauerlich, denn mit „Maurice Swift“ ist dem irischen Schriftsteller nach „Cyrill Avery“ (2018) erneut ein lesenswerter Roman gelungen, der nicht nur, aber vor allem Freunden des Literaturbetriebs gefallen dürfte, handelt er doch von einem gnadenlos ehrgeizigen, zeitweilig erfolgreichen, wenn auch menschlich zu verachtenden Schriftsteller und dem Wettbewerb unter Literaten.

Wir lernen den jungen Briten Maurice Swift als Aushilfskellner in einer West-Berliner Hotelbar kennen und begleiten ihn dann abschnittsweise auf seinem privaten wie beruflichen Lebensweg bis ins Alter. Swift ist seit Jugendtagen ein kaltherzig berechnender Mensch, der in grenzenlosem Ehrgeiz, ein erfolgreicher Autor zu werden, skrupellos alle Mittel bis hin zur Prostitution des eigenen Körpers einsetzt, sofern ihn dies seinem Ziel näherbringt. „Es gibt Menschen, die für den eigenen Vorteil alles und jeden opfern“, heißt es über ihn.

Swift ist zwar ein ausgezeichneter Schreiber, nur für Romane fehlen ihm die nötigen Ideen. Da es ihm an eigener Kreativität fehlt, setzt er seinen Charme sowie die Attraktivität und Wirkung seines Körpers auf Männer wie auf Frauen ein: „Ich begriff, welche Macht mir das gab. Eine Macht, aus der sich immer leicht Kapital schlagen ließ.“ Diese homoerotischen Abhängigkeiten berühmterer Autoren zu ihm nutzt Swift schamlos für seinen beruflichen Fortgang aus. Er stiehlt skrupellos die Handlungsideen anderer für eigene Romane, selbst wenn er deren Karriere oder gar Leben vernichtet. Daran hält er auch später als Herausgeber eines Literatur-Magazins und Lektor angehender Autoren fest: „Zu Hause warten 20 Erzählungen auf mich, die ich lesen muss. ... Ich will schließlich wissen, wovon mein nächster Roman handelt.“

Kaum jemand durchschaut das betrügerische und verlogene Vorgehen des einst mit einem Literaturpreis ausgezeichneten, inzwischen von einer nächsten Autoren-Generation verdrängten Autors. Nur der Literaturstudent Theo Field, der eine Biografie über Swift schreiben will, scheint etwas zu ahnen: „Die Bandbreite Ihres Schreibens ist … so außergewöhnlich, und es ist kaum zu glauben, dass all das aus der Feder eines einzigen Menschen stammt.“

Nach genau diesem Konzept seines Protagonisten Maurice Swift fügt auch Autor John Boyne die Abschnitte seines Romans wie die Sammlung gestohlener Ideen anderer Autoren - sogar mit wechselnden Erzählern - zu einer schlüssigen Handlung zusammen. Der Piper Verlag verstärkt dieses dramaturgische Konzept noch optisch, indem er - eine großartige Idee! - in seiner deutschsprachigen Ausgabe den Autorennamen John Boynes sogar durchstreicht und durch Maurice Swift ersetzt, als habe er auch diese Roman-Idee gestohlen.

Kritisch anzumerken ist, dass Maurice Swift von Beginn an als rücksichtsloser Ehrgeizling zwar nicht uninteressant, aber doch zu einseitig angelegt ist, weshalb der Ausgang der einzelnen Episoden schon bald zu durchschauen ist und kaum noch überrascht. Interessanter sind dagegen die anderen Protagonisten des Romans wie die Schriftsteller Erich Ackermann und Dash Hardy in ihrer bemitleidenswerten homoerotischen Abhängigkeit, die beide später nutzlos geworden von Swift fallengelassen werden, der bereits legendäre (reale) Schriftsteller Gore Vidal (1925-2012), der vom Leben abgeklärt als einziger den egozentrischen Schriftsteller durchschaut, oder Swifts junge Ehefrau Edith, die als literarische Debütantin wesentlich talentierter als ihr Ehemann ist. Diese Figuren sind es vor allem, die „Maurice Swift. Die Geschichte eines Lügners“ zu einem empfehlenswerten Roman machen.