Rezension

Über Heimat und Zuhause

Jahresringe - Andreas Wagner

Jahresringe
von Andreas Wagner

Bewertet mit 4 Sternen

Dieser Roman ist eine schöne Mischung zwischen Familiengeschichte und gesellschaftspolitischen Themen.

In den Vordergrund wird immer wieder die Frage gestellt, was Heimat für einen ist, wie sie entsteht und wie man sie verlieren kann. Die Protagonistin Leonore und ihre Nachfahren sind die Romanfiguren, anhand derer die Frage aufgeworfen wird. Leonore ist gegen Ende des Zweiten Weltkriegs aus Ostpreußen unter furchtbaren Umständen, die sie Zeit ihres Lebens nicht offenbaren mag, gen Westen geflohen, bis sie Aufnahme in einem Dorf zwischen Köln und Aachen findet. Zur neuen Heimat wird es ihr angesichts der Vorbehalte der Einheimischen nicht, aber immerhin zu einem Zuhause. Heimat wird das Dorf dann für ihren Sohn, doch auch nur bis in sein junges Erwachsenenalter hinein, denn dann wird das Dorf wegen des Braunkohletagebaus nach Jülich umgesiedelt und er muss die seiner Mutter vererbte und von ihm weiter betriebene Traditionsbäckerei aufgeben. Seine eigenen Kinder geraten durch den Tagebau in Zwiespalt – sein Sohn lässt als Führer eines riesigen Schaufelradbaggers den restlichen Hambacher Forst verschwinden, während seine Tochter sich den Aktivisten anschließt, die in einer Baumhaussiedlung für den Bestand des Waldes kämpfen.

Die Familiengeschichte liest sich sehr schön und führt anschaulich vor Augen, dass auch die Deutschen einmal Flüchtlinge waren. Vielleicht lässt einen das toleranter gegenüber den heutigen Flüchtlingen aus anderen Ländern werden. Die Geschichte des Braunkohletagebaus bis in die jüngste Vergangenheit, die einem aus den Medien bekannt sein dürfte, war sehr lehrreich. Weshalb ich dem Buch nicht die volle Sternezahl gebe, liegt an einigen eingeflochtenen Begebenheiten, die mir einfach zu merkwürdig und fremd anmuten – die von Leonore selbst initiierte Schwängerung durch einen Pfarrer, die Wiederauferstehung des Freundes von Leonores Sohn aus einem diabetischen Koma (beides mit einer sich mir nicht erschließenden religiösen Bedeutung) und das plötzliche homosexuelle Beisammensein von Leonores Enkel mit einem Aktivisten im Hambacher Forst.

Eine zu empfehlende Lektüre.