Rezension

Überleben mit dem schwarzen Hund

Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben
von Matt Haig

Bewertet mit 3.5 Sternen

Literatur ist vielfältig. Buchstaben werden zu Worten, Worte formen Sätze, Sätze bilden einen Absatz, viele Absätze gestalten die Seite und viele Seiten ergeben ein Kapitel. Gesammelte Kapitel sind ein Buch. Der formale Aufbau ist klar. Inhaltlich ist jeder frei zu gestalten. Sachbücher sind enger gegliedert, Romane haben die Freiheit zum Beispiel auch einfach auf Kapiteleinteilung zu verzichten und Ratgeber hangeln sich an ihrer Problemlösung entlang. Biographien gehen oft chronologisch vor, manchmal aber auch thematisch. Struktur für den Leser, dann kann dieser auf den ersten Blick einordnen, in welche Richtung es geht. Matt Haigs Verlag hat sich entschieden, die Etikettierung offener zu halten. Sie haben ein Buch von ihm herausgebracht. Punkt. Es bleibt dem Leser überlassen, welche Zuschreibung er dafür findet. Matt Haig erzählt einfach aus seinem Leben, was gar nicht so einfach ist. Denn sein Leben wird bestimmt von einer Krankheit, die jeder dem Namen nach kennt und über die vor allem Vorurteile, Klischees und Halbwahrheiten im Umlauf sind. Im Alter von 24 Jahren begegnet er von einem Moment auf den anderen einer nie gekannten Angst, fällt in eine Depression und muss über Jahre kämpfen, sein Leben wieder selbst bestimmen zu können und es sich nicht von der Depression und der Angst diktieren zu lassen.

Das Lesen und das Schreiben waren und sind zwei der ziemlich guten Gründe, die ihn am Leben erhalten haben. Und so hat er sich entschieden, seine Erfahrung aufzuschreiben und sie zu teilen mit den von der Krankheit Betroffenen wie den mit Halbwissen ausgestatteten Nicht-Betroffenen. Es ist ein persönliches Buch. Es zu lesen, ist persönlich. Es setzt mich sofort in Beziehung zu meinem Leben, ob ich will oder nicht. Ist die Depression auch kein Teil meiner Persönlichkeit, so bin ich ihr durch Freunde und Bekannte durchaus schon begegnet und stand ihr hilflos wie verständnislos gegenüber. Erwischte mich bei dem Gedanken, dass es doch nicht so schlimm sein könne, derjenige sich eben mal am Riemen reißen müsse. Eine landläufige Annahme, die auch Matt Haig in den ersten Kapiteln seines Buches thematisiert und ich an der Stelle beim Lesen schuldbewusst zusammenzucke. Aber woher soll man es denn auch wissen. Es wird so wenig und wenn so oberflächlich über dieses Thema, über diese Krankheit gesprochen, dass man sich auch als am Rand Stehender nur hilflos und dumm vorkommen kann. Allein darum sollte „Ziemlich gute Gründe“ eine Pflichtlektüre sein. Erschütternd sind die statistischen Fakten, die hohen Selbstmordraten. Erschreckend die Beschreibungen der körperlichen Begleiterscheinungen von Panikattacken und Angstzuständen. Ermutigend das Beharren von Haig an sein jüngeres Ich, durchzuhalten in dem Glauben, dass es besser wird, dass die Krankheit sich besiegen lässt, indem man sie annimmt, sie zu lesen lernt, sich achtsam um sich selbst kümmert. Wohltuend die vielen Gedanken zum Leben an sich und im persönlichen, die der Autor mit mir, dem Leser teilt und es mir überlässt, wie ich dazu stehen möchte. Wie wertvoll Literatur sein kann, wie das Lesen guter Bücher, das eigene Leben bereichert.

Ich für meinen Teil brauche kein Etikett für „Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben“, sondern danke dem Autor für den Mut, seine persönliche Begegnung mit dem „schwarzen Hund“ mit mir geteilt und ein wenig Licht in das Dunkel dieses Krankheitsbildes gebracht zu haben.