Rezension

Überleben um jeden Preis?

Die Enklave - Ann Aguirre

Die Enklave
von Ann Aguirre

Bewertet mit 5 Sternen

"Es sind die Handlungen, die den Wert eines Menschen ausmachen." S. 221

Zum Inhalt

Irgendwann in der Zukunft ...

"Es war seltsam, ein Echo dessen zu sehen, wie die Menschen einmal gelebt hatten." S. 68

Jahrzehnte nach einem vernichtenden Holocaust ist New York eine verfallene, verwahrloste Stadt. Nur wenige Menschen haben überlebt und fristen ihr Dasein zurückgezogen von den Seuchen und dem sauren Regen in den weitläufigen U-Bahn Schächten und der Kanalisation.  In großen Gruppen leben sie in sogenannten Enklaven zusammen und ihr System gründet auf dem Leitsatz, dass nur der Stärkere überlebt. Zwei ist eine von ihnen.

Die Anführer ihrer Enklave sind noch jung, gerade mal Anfang 20, denn das Überleben in den finsteren Katakomben ist geprägt von Hunger, Degeneration und Kämpfen. Jede Enklave muss ihr Territorium verteidigen – nicht nur gegen die anderen Überlebenden, sondern auch gegen die Freaks: mutierte Wesen, die durch die dunklen Gänge streuen und alles jagen und töten, das ihnen über den Weg läuft.

Zwei hat sich gerade ihren Namen und den Status als Jägerin verdient.  Ihr Stolz darauf währt allerdings nicht lange, denn ihr neuer Partner, der ihr zur Seite stehen soll, ist alles andere als das, was sie sich erhofft hat. Sein Name ist Bleich und er ist anders. Er hat jahrelang allein in den düsteren Tunneln überlebt und hält sich nur aus Zwang an die Gesetze und Regeln, die die Anführer aufgestellt haben. Und er behauptet, er kam von Oben …

Meine Meinung

Als erstes muss ich leider (mal wieder) anmerken, dass der Klappentext viel zu weit vorausgreift und somit der ersten Hälfte des Buches die Spannung genommen hat. Darum habe ich in meiner Inhaltsangabe nur auf den Anfang zurückgegriffen.
In die Geschichte hab ich mich eingewöhnen müssen. Es fiel mir nicht leicht, obwohl ich gar nicht so genau sagen kann, warum. Der Schreibstil ist gewöhnungsbedürftig, aber nach einiger Zeit kam ich gut rein und die Handlung hat mich immer tiefer in diese düstere Atmosphäre gezogen. Manche Szenen wirkten „abgehandelt“, die hätte man noch weiter ausbauen können – dafür zieht es sich aber an keiner Stelle und es war eine fortlaufende unterschwellige Spannung spürbar.

Die Handlung wird geprägt von einer trostlosen Stimmung, die nur von Kämpfen und dem konventionellen Zusammenhalt Einzelner unterbrochen wird. Das Sagen in der Enklave von Zwei haben der Anführer Dreifuß, der Worthüter Zwirn und die Jägerin Seide. Ihr Wort ist Gesetz und jede Missachtung wird mit Verbannung und damit dem Tode bestraft. Es gibt Schaffer, die für die handwerklichen Fertigkeiten zuständig sind, die Zeuger, die für das Fortbestehen ihrer kleinen Bevölkerung sorgen und die Jäger, die Nahrung beschaffen und die nahe Umgebung sichern. Die Kinder werden einfach nur „Bälger“ genannt und haben eine Nummer – ihren Namen erhalten sie erst, wenn sie sich in einem der Posten ausreichend bewährt haben. Die Namensgebungen wirkten anfangs seltsam, woran ich mich aber schnell gewöhnt habe.

Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht von Zwei. Dadurch kommt man ihr sehr nahe und erlebt ihre rationale, eher von Instinkten gezeichnete Natur. Sie wirkt stolz, ausdauernd, aber auch abgestumpft durch die grausamen Regeln, derer sie sich ihr ganzes Leben lang unterordnen musste. Aber auch in ihr regen sich Gefühle, die sie  nicht einordnen kann - Mitgefühl und Unrechtsbewusstsein kratzen an ihrem Weltbild und die gemeinsamen Streifzüge mit Bleich stellen ihre ganzen Überzeugungen auf den Kopf. 

"Die Wahrheit hatte es manchmal schwer, wenn sie nicht unseren Erwartungen entsprach." S. 123

Der Charakter von Bleich kristallisiert sich im Laufe der Handlung immer sympathischer und überzeugender heraus und es ist spannend zu verfolgen, wie Zwei mit diesen neuen Erfahrungen und Gefühlen umgeht. Die brutale Welt, in der sie aufwachsen, zwingt sie dazu, alles aufzugeben, was einen "guten" Menschen ausmacht - doch Bleich hat erkannt, dass diese Art zu überleben keine Berechtigung hat.

War ich anfangs noch skeptisch, hat mich das Buch Seite um Seite mehr mitgerissen. Vor allem die überraschenden Wendungen im zweiten Teil, die schlüssigen Entwicklungen und die düstere Atmosphäre haben mich überzeugt. Ich habe hier sehr zwischen 4 und 5 Sternen geschwankt, möchte mich aber dann doch für die volle Punktzahl entscheiden.

Fazit

Die Autorin hat hier eine düstere Postapokalypse beschrieben, die die Wahrheit in einem grotesken, beängstigendem Bild erscheinen lässt. Ein grausames, gefühlloses Leben, dem sich die Protagonisten stellen müssen, verlangt alles von ihnen ab und die Entwicklungen nehmen spannende, überraschende Wendungen. Wenn man sich auf diese Welt einlassen kann, kann ich es auf jeden Fall weiterempfehlen!

© Aleshanee
Weltenwanderer