Überraschend!
Bewertet mit 4.5 Sternen
Tennessee: Vor zehn Jahren stürzten zwei Schulbusse auf dem Rückweg von einer Jahrgangsfahrt nachts in eine Schlucht, nur neun Jugendliche konnten sich retten. Eine der Überlebenden nahm sich ein Jahr später das Leben, weshalb die übrigen einen Pakt schlossen: Sie treffen sich an jedem Jahrestag, um für einander da zu sein. Doch das 10. Treffen wird von einer weiteren Tragödie überschattet, zudem häufen sich unheilvolle Begebenheiten. Zusammenhalt verwandelt sich in Misstrauen und ihre gemeinsamen Geheimnisse werden zu einer schweren Last, fast so schwer, wie die Geheimnisse, die sie voreinander haben ...
“Sieben Stunden. Wen würdest du retten?” ist ein atmosphärischer, beklemmender Thriller voller tiefer, dunkler Abgründe. Cass, die Protagonistin, will nicht mehr an den Jahrestags-Treffen teilnehmen, sie hat etliche fragwürdige Maßnahmen ergriffen, um dem diesjährigen Gedenktag in dem Strandhaus eines Überlebenden zu entgehen. Gleichzeitig ist sie nach wie vor hin- und hergerissen zwischen ihrem schlechten Gewissen und dem Wunsch, die Vergangenheit bzw. den schmerzlichen Kontakt zu den anderen Überlebenden endlich hinter sich lassen. Dann passiert etwas, das sie zwingt zu dem Strandhaus zu fahren.
Erzählt wird hauptsächlich aus Cass’ Sicht, es gibt aber auch Einblicke in die Unfallnacht aus der Perspektive der anderen, was wirklich interessant gestaltet ist. Die Überlebenden werden zu Gefangenen der Geschichte, die sie über jene Nacht erzählen, nun haben sie zehn Jahre des Ausweichens und der Auslassungslügen hinter sich. Sie wissen von der Dunkelheit ineinander, von den kleinlichen Unterstellungen - feige, rachsüchtig, egoistisch - die während der Stunden nach dem Unfall in der Luft lagen, dass jede:r von ihnen andere zum Sterben zurücklassen kann, um sich selbst zu retten. Aber sie wissen dennoch nicht alles Schlimme voneinander.
Die Spannung ist lange eher subtil, was mich nicht störte, da ich die Prämisse (Schuld- bzw. Schamgefühle rund um den eigenen Selbsterhaltungstrieb), die greifbar düstere Stimmung, die undurchsichtigen, bedrohlichen Geschehnisse und die Figurendynamik ungemein fesselnd fand.
Warum waren die Überlebenden nicht ehrlich? Waren die Facetten des Grauens zu schmerzhaft, um sie wiederzugeben? Die schwierigen Entscheidungen, die getroffen wurden, zu kompliziert, um sie anderen verständlich zu machen? Haben sie sich wirklich schuldig gemacht oder stecken sie in ihrer jugendlichen Sicht fest, dass sie die Absturzstelle zu bereitwillig verlassen haben, um Hilfe zu holen, die dann leider zu spät kam.
“Sieben Stunden. Wen würdest du retten?” ist ein aufwühlender Spannungsroman voller überraschender Wendungen und das (vermeintliche?) moralische Dilemma ist faszinierend verstörend, mit viel Gespür für die menschliche Natur.