Rezension

Überraschend und unerwartet!

Das wirkliche Leben - Adeline Dieudonné

Das wirkliche Leben
von Adeline Dieudonné

"Das wirkliche Leben" von Adeline Dieudonné war meine bisher größte Lese-Überraschung in diesem Jahr. Und dies durchweg positiv!

Das Cover fand ich sofort sehr spannend, konnte mir aber nicht gleich ein Bild davon machen, um was für eine Art Geschichte es sich handelt. Dennoch, meine Neugier war geweckt, so dass ich mir die Leseprobe angeschaut habe. Auch hier war mein erster Eindruck sofort, dass es sich um ein ungewöhnliches Buch handelt. Ich liebe es, wenn mich Bücher überraschen, also wollte ich es unbedingt lesen.

Der Schreibstil gefällt mir außerordentlich gut. Einige Formulierungen sind die Wucht und haben mich innehalten lassen. Die junge Protagonistin beobachtet die Welt um sich herum so aufmerksam und fasst ihre Schlüsse dann auf solch faszinierende Weise zusammen, wie manch Erwachsener es nicht vermag. Das hat mich wirklich beeindruckt und meine Sammlung besonderer Sätze aus Büchern bereichert.

Das ganze Buch ist in der Ich-Perspektive aus Sicht des Mädchens verfasst. Obwohl man ihr sehr nahe kommt und einen tiefen Einblick in ihre Gefühls- und Gedankenwelt bekommt und ihre Entwicklung über einige Jahre verfolgt, bleibt doch eines verborgen - ihr Name. Auch hier zeigt sich wieder das außergewöhnliche des Buches. Die Protagonistin ist ein starker, beeindrucker Charakter voller tief empfundener Empathie und Liebe für ihren kleinen Bruder Gilles. Zudem ist sie ausgesprochen pfiffig und intelligent. Von Anfang an ist sie unglaublich sympathisch und dies verstärkt sich mit ihrer Entwicklung im Laufe des Buches noch. Leider hat das Mädchen katastrophale Eltern. Die beiden sind wirklich entsetzlich und haben mich an mancher Stelle sprachlos gemacht. Gerade im schlimmsten Moment des Lebens von dem Mädchen und ihrem kleinen Bruder Gilles, dem Moment, in dem sich ihre Wirklichkeit auflöst und "zu einem schwindelerregenden Nichts" wird, lassen die Eltern ihre beiden Kinder mit all den Emotionen völlig allein. Damit beginnt eine traurige Entwicklung, die teils wirklich nichts für schwache Nerven ist. Das Mädchen versucht alles, um die Auswirkungen wieder gut zu machen und entwickelt dabei eine enorme Stärke. "Wenn es die kleinste Möglichkeit gab, in die Vergangenheit zu reisen, musste ich sie finden und nutzen. Um Gilles' Milchzähnlächeln wiederzubekommen und seine strahlenden grünen Augen..."

"Das wirkliche Leben" von Adeline Dieudonné ist mit Abstand der beste und berührendste Coming-of-age-Roman, den ich je gelesen habe. Der Roman ist von erzählerischer Kraft und entwickelt einen großen Sog, dem man sich äußerst schwer entziehen kann. Dabei sind einige Szenen jedoch nichts für schwache Nerven und lassen sich nur schwer bis gar nicht verdauen. Gern spreche ich eine überzeugte Leseempfehlung aus, weise jedoch darauf hin, dass es nicht immer leicht war, den Geschehnissen zu folgen.