Rezension

Überzeugender Krimi mit tollem Zeitkolorit

Die Tote im Wannsee - Lutz Wilhelm Kellerhoff

Die Tote im Wannsee
von Lutz Wilhelm Kellerhoff

INHALT

Wolf Heller interessiert sich eigentlich nicht für Politik, doch plötzlich ist alles politisch. Ohne es zu wollen, gerät er zwischen die Fronten. Die Polizei gilt als reaktionärer Haufen, Studenten demonstrieren lautstark in den Straßen, und seine Freundin Louise zieht in eine Kommune. Da wird eine junge Frau tot am Ufer des Wannsees gefunden. Nur die roten Schlangenlederschuhe geben einen brauchbaren Hinweis auf ihre Identität. Als der Kommissar ein Bild der Schuhe in einer Berliner Zeitung veröffentlichen lässt, meldet sich eine Kollegin der Toten: Heidi Gent arbeitete in Horst Mahlers Anwaltskanzlei. Heller soll den Fall schnell abschließen. Auf der Polizei liegt noch der Schatten der Ermordung von Benno Ohnesorg, der Druck aus dem Schöneberger Rathaus ist enorm. Doch als er zufällig mitbekommt, dass sein Chef lautstark mit einem Unbekannten über die Tote streitet, lässt er nicht mehr locker.

(Quelle Klappentext Ullstein Verlag)

MEINE MEINUNG

Der fesselnde Kriminalroman »Die Tote im Wannsee« ist das äußerst gelungene Debüt des deutschen Autorentrios Martin Lutz, Uwe Wilhelm und Sven Felix Kellerhoff – kurz auch Lutz Wilhelm Kellerhoff. Der Krimi  entführt uns ins West-Berlin der bewegten 1968er Jahre, eine geteilte Metropole quasi an vorderster Frontlinie des Kalten Krieges, in Aufruhr und voller gesellschaftlicher Kontraste. Gekonnt nimmt der Krimi uns mit auf eine kleine Zeitreise mitten hinein in Studenten-Proteste gegen Vietnamkrieg und Springerkonzern sowie zu radikalen Demonstrationen mit gewalttätigen Auseinandersetzungen während „Establishment“ und normales Bürgertum fassungslos zuschaut.

Geschickt verwoben mit dem komplexen Kriminalfall und portraitieren die Autoren den Alltag in der Stadt und vermitteln ein sehr stimmiges, authentisches Bild von der damaligen Zeit und dem politisch-gesellschaftlichen Spannungsfeld. So erhalten wir als Leser interessante Einblicke in die Studentenbewegung, Frauen-Emanzipation, Einstellung zur Homosexualität, Generationenkonflikte, dem Verdrängen der Nazi-Vergangenheit und verdeckten Wirken der „reingewaschenen“ Altnazis in vielen Positionen sowie den undurchsichtigen Machenschaften der Stasi, um die Machtstrukturen in West-Berlin zu verändern. Aber auch etliche historische Persönlichkeiten wurden gekonnt in die Handlung eingebaut und verleihen dem Fall mehr Authentizität. Am gut getroffenen Zeitkolorit und an vielen in die Geschichte eingestreuten historischen Details spürt man, wie akribisch die Autoren die damalige Zeit in Westberlin recherchiert haben.

Sehr angenehm ist auch der flotte Erzählstil mit gelungenen Dialogen und einer der recht einfachen, authentisch wirkenden Sprache. Beim Lesen merkt man nicht, dass an diesem Werk „aus einem Guß“ drei verschiedene Autoren beteiligt waren.

Sehr abwechslungsreich und packend haben die Autoren den komplexen Fall mit verschiedenen Handlungssträngen gestaltet. Vor allem die Perspektivwechsel, die uns auch an der Sicht des Opfers und Täters teilhaben lassen, sind sehr eindringlichen geschrieben und sorgen für enorme Spannung.

Der Krimi lebt neben den lebendig geschilderten Schauplätzen und interessanten Milieustudien vor allem von seinen lebensnahen, vielschichtig angelegten Figuren. Äußerst aufschlussreich und teilweise amüsant fand ich insbesondere die Einblicke in den inneren Kreis der studentischen Rebellen, ihren Wandel zum Revolutionsrausch und ihre trotz propagierter Fortschrittlichkeit doch eher rückständigen Auffassungen zu Rollenverteilung und Gleichberechtigung der Frauen. Hervorragend gefallen hat mir der recht eigenwillige, aber sympathische Kommissar Heller als Protagonist, der sehr bodenständig und aufrichtig wirkt, manchmal aber mit den finsteren Schatten der Vergangenheit eingeholt wird und mit dem ungeklärten Tod seiner Mutter zu kämpfen hat. Sehr faszinierend ist es, den erfahrenen Kommissar bei seiner hartnäckig Ermittlungsarbeit zu dem komplizierten Mordfall, bei dem sich immer Ungereimtheiten und Hürden auftun, zu begleiten und natürlich mitzurätseln. Als seine Nachforschungen auch aus eigenen Reihen ganz offensichtlich sabotiert und selbst von seinem Vorgesetzten unterbunden werden, setzt er alles daran, den Hintergründen auf die Spur zu kommen und den Mordfall zu lösen. Die Aufklärung war insgesamt sehr glaubwürdig, schlüssig und zufriedenstellend.

Ich würde mich sehr freuen, wenn es bald einen neuen Fall für den routinierten, sehr sympathischen Kommissar Heller im geteilten Berlin gäbe und ich wieder die spannend und lehrreich erzählte Zeitgeschichte abtauchen könnte.

FAZIT

Ein fesselnder, atmosphärisch dichter historischer Kriminalroman mit tollem Zeitkolorit und interessanten Charakteren, der uns gekonnt ins geteilte Berlin der bewegten 1968er Jahre abtauchen lässt. Sehr lesenswert!