Rezension

Üppiger Schmöker!

Leben ist ein unregelmäßiges Verb - Rolf Lappert

Leben ist ein unregelmäßiges Verb
von Rolf Lappert

Bewertet mit 4 Sternen

Es ist die Schlagzeile des Jahres 1980: Vier Kinder sind aus einer Art Landwirtschaftskommune im Kampstädter Bruch gerettet worden, in der sie die bisherigen 12 Jahre ihres Lebens komplett abgeschnitten von der Außenwelt aufgewachsen sind. Doch für die „Geretteten“ beginnt nun erst die wahre Tortur. Nicht nur, dass sie in eine bisher stets als böse verteufelte Welt geworfen werden, die voller ihnen unbekannter Dinge ist. Auch die Trennung der Kinder untereinander, die bisher alles geteilt haben, ist ein Schlag, der für sie alle nur schwer zu verkraften ist. Teils bei Verwandten, teils bei Pflegeeltern untergebracht wird ihnen der Kontakt miteinander verboten und der Versuch beginnt, sie in das starre Schulsystem zu pressen. Alles um der Normalität willen.

Diesen Kindern folgen wir in dem fast 1000 Seiten starken Roman durch ihr Leben. Und das hat es zum Teil in sich! So wechseln wir mit dem sensiblen und äußerst schüchternen Leander von Schule zu Schule und sind froh um seine liebevolle Tante, die ihm stets zur Seite steht. Doch das Glück ist brüchig. Mit Frida versuchen wir die Stille und Strenge zu ertragen, die ihr im Haus ihrer Großmutter entgegenschlägt und fiebern der Volljährigkeit entgegen, die ihr Freiheit verspricht doch nur Rastlosigkeit bringt. Mit Ringo hingegen blicken wir zurück auf Höhe- und Tiefpunkte seines bisherigen Lebens: Er ist schon über 40, früh dem Alkohol verfallen und reflektiert sehr gekonnt über den Bruch, den die Auflösung der Kommune darstellte und wie sie sein Leben beeinflusst hat. Dazwischen setzt Lappert immer wieder Einschübe aus einem von den Kindern geschriebenen Logbuch, die in einem wunderbar poetischen Ton Einblicke in ihren Alltag im Kampstädter Bruch geben.

Lappert findet einen brillanten Erzählton, der sowohl zu den tragischen, als auch zu den lustigen Begebenheiten im Leben der Kinder passt. Der Roman ist süffig und spannend, was durch die Perspektivenwechsel noch unterstützt wird. Allerdings muss man sich auf eine ausschweifende Erzählung einstellen. Es gibt viel Personal aber dafür gutes! Dass die vier Kinder großartig charakterisiert sind muss ich wohl nicht extra sagen.

„Leben ist ein unregelmäßiges Verb“ ist ein üppiger Roman, der vor allem durch seine Sprache besticht. Die Schicksalsschläge sind manchmal hart an der Grenze zum „too much“ aber für meinen Geschmack nie drüber. Die eine oder andere Länge in der zweiten Hälfte lässt sich leicht verzeihen. Insgesamt also ein spannender Entwicklungsroman mit der Dramatik einer Netflixserie und absolut lebendigen Hauptfiguren die man abwechselnd in den Arm nehmen und schütteln möchte. Ein Schmöker mit Tiefgang, Humor und Poesie.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 04. Oktober 2020 um 18:45

Schöne Rezension, die mich dann doch zögern lässt, lalala, wir hatten gerade unterschiedliche Vorstellungen bei Malé. Wie gemein, die Kinder zu trennen! Diese Sektenkinder, bzw. Aussteiger ist auch gerade sehr in, zahlreiche Romane ..

 

katzenminze kommentierte am 04. Oktober 2020 um 19:03

:D Zur Beruhigung: In der Leserunde waren wir uns bisher alle einig. Meine Meinung reißt also diesmal nicht aus.