Rezension

Uhr aufziehen nich vergessen!

Der wundersame Fall des Uhrwerkmannes - Mark Hodder

Der wundersame Fall des Uhrwerkmannes
von Mark Hodder

"Die Fehler die wir begehen, verleihen uns den Ansporn, uns zu verändern, uns zu verbessern und uns weiterzuentwickeln."

London, kurz drauf. (Ja, erneut!) Denn wir befinden uns noch immer mit Supermann Burton im nebligen viktorianischen Zeitalter. Ach, halt, Vicky is ja nich mehr. Weil ‚Spring Heeled Jack‘ aus Band 1 da mächtig was vermasselt hatte. Was wir diesmal haben ist ein Diamantenraub. Aber dabei bleibt es nicht. Das wäre ja auch zu einfach für einen Mann von Burtons Kaliber.

Ich hatte ja gehofft am Ende von Teil 1, dass Algernon Swinburne mehr zu bieten haben wird. Und ich wurde nicht enttäuscht. Der kleine „präraphaelitische Ritter“ hat es mir wirklich als Charakter angetan. Wohingegen Richard Burton wieder einmal nicht gut weg kommt. Zuweilen im Verlauf des zweiten Bandes hatte ich zwar schon befürchtet/ gehofft, dass Hodder hier an diesem völlig ‚overpowered‘ Charakter Image kratzen wird, leider aber beendet er die zweite Episode mit dem Überhelden genauso wie im ersten Band. Da hilft ja alles nichts, der Kerle rennt immer noch mit seinem ‚Orga-Därf-Schein‘ durch die Gegend und hat jetzt sogar noch eine Kaktuspistole geschenkt bekommen. Der Eugenik sei Dank.
 

"Also waren es keine Mäuse, wie ich dachte. Was ich eigentlich gar nicht tat. Denken, meine ich."

Worum geht es denn nun in diesem Buch? Nun, Burton erhält erneut vom Premierminister einen klaren Auftrag. Und Palmerston wird das noch bereuen, denn Burton erweist sich als ganz schönes kleines, von sich völlig überzeugtes ('insert Schimpfwort der Wahl here'). Der Uhrwerkmann, der im Titel versprochen wird, taucht zwar in den ersten Kapiteln auf, spielt aber dann eine ganze Weile keine Rolle. Auch die auf dem Cover abgebildeten Personen (bzw die gesamte Szene) taucht erst im Showdown auf, der - wie im ersten Band - mit viel Gewalt und Blut aufwarten kann und welches eindeutig der Schwerpunkt von Hodders Schreibweise ist.
Dagegen flau im Magen liegt mir die gesamte Herleitung. Bis zur Hälfte des Buches hatte ich KEINEN Durchblick. Und als ich endlich Vermutungen anstellen konnte, erwiesen sich diese alle als unhaltbar. Nur gelegentlich konnte ich vorausschauen. Dies ist nun ein Kritikpunkt den ich weder positiv noch negativ bewerten kann. Denn es kann durchaus für den Verlauf der Handlung sprechen, wenn ich als Leser keine Ahnung habe, worauf es abzielt.

Dennoch die Atmosphäre des Buches war diesmal für mich nicht so streng ausgerichtet wie im ersten Teil. Dort konnte ich den roten Faden deutlich erkennen. Diesmal waren es so viele Fäden die an einem Flipchart übereinander lagen auf all den Indizien, dass ich kaum hinterher kam. Bis dann die Handlung umschlug, rasanter wurde und nach vielen Seiten sorgsamen Zusammenstellens aller Informationen endlich mal etwas passierte. Wieder geht Hodder mit den Nebenfiguren recht achtlos um, bekannte Figuren, wie die Haushälterin oder Quips bleiben aber erhalten und sorgen für die nötige Stabilität.
 

"Gütiger Himmel Richard, wir sind in arger Not! Wir sind triefnass und ohne Alkohol!"

Zu lachen gab es auch einiges, nicht nur die schimpfenden Kanarienvögel sorgen wieder für allerlei unpassende Kommentare, sondern auch am Rad drehende Bordsteinschwalben haben ihren Reiz. Davon abgesehen aber bewegt sich der Inhalt in eine gänzlich unberechenbare Richtung. Und von Anfang an, deutet alles auf den dritten Band hin: „Auf der Suche nach dem Auge von Naga“. Schon früh werden die Ereignisse aus Band 1 um den Zeitspringer ‚Spring Heeled Jack‘ aufgegriffen und vorausahnend mit den Edelsteinen verknüpft. An Logik fehlt es aber ganz und gar nicht, denn am Ende bietet der Autor dem Leser noch eine genaue Zusammenfassung der Ereignisse.

Abseits davon, bietet das Buch aber viele schöne Einschübe in denen nicht nur die rätselhafte Echtheit des im Klappentext angesprochenen Tichborne aufgegriffen wird, sondern auch ein ebenso mysteriöser Fluch und eine Rückblende in eine alte Familiengeschichte.

 

"(…)denn in meinen Augen besteht der Unterschied zwischen Literatur und Journalismus darin, dass Journalismus unlesbar ist und Literatur nicht gelesen wird!"

 

Fazit:

Ja, ich habe das Buch durchaus verstanden, aber es ist schon viel Vorstellungskraft von Nöten, wenn neben Federmechanismen, Droschken und ausgehölten 'Volkswagen Käfern' durch die Stadt auch noch Zombies und Geister laufen. Womit kommt wohl das nächste Buch daher? Aliens? Geh’ ich mal stark von aus.
Es geht hier um Paradoxen, Parallelwelten, mögliche Zukünfte. Viel schwer zu erklärende Technik, Genetik, Metamorphosen, Séancen und Ektoplasma. Und über all dem liegt Revolution und Politik. Davon abgesehen eine sehr große Schüppe voll Müll und brennenden Häusern. Hodder bedient sich frei weg an realen Vorbildern für Charaktere, philosophische Ansätze und politische Entwicklungen der Zeit und baut sie neu zusammen. Das hat schon Stil und gefällt mir. Es wird nur schwer, die Punkte heraus zu finden, die dann frei erfunden sind, wie eben diese ominösen summenden „Chorsteine“.
Ein solider zweiter Band der alles einsammelt was es an wichtigen Informationen braucht für den letzten Teil.
 

"(…) denke ich, mit einiger Sicherheit vorhersagen zu können, dass dieser Versuch weit weniger dramatisch verlaufen wird als der letzte!“
Pox: „Schwachsinn!"

Urteil: Für den fürchterlichen Bart ein Punkt Abzug.
(Warum? Weil ich's kann.)

Pröbchen: Ein Lesepröbchen, gefällig? Nur so zum Spaß an der Freud.