Rezension

Umfangreiche Geschichte über die Frauen einer Familie und der Insel Juist.

Die vier Gezeiten -

Die vier Gezeiten
von Anne Prettin

Bewertet mit 4 Sternen

An erster Stelle möchte ich mich beim Lübbe Verlag und der Bloggerjury für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars bedanken.

Wir erleben eine Geschichte mit viel Tiefgang, Stürmen und vielen Wendungen. Dies passt zur Location der Nordseeinsel Juist, wo die Geschichte fast vollständig stattfindet. Der Ort ist ziemlich fest und kaum verändert, aber die Zeit wo das Buch spielt ist vielfältig.

Um zu verstehen wer alles dabei ist hier erstmal eine Übersicht, der wichtigsten Familienmitglieder und Personen.

Johanne:

Wir erleben ihre Kindheit auf der Insel Juist in den 1930er Jahre. Als Tochter eines armen Hausmeisters der Alkoholiker ist und einer Mutter die sie einfach verlassen hat. Einfach hat sie es somit schon von Anfang an nicht gehabt. Ihre erste Liebe mit Gustav fällt in die Anfänge der Judenverfolgung und somit kann sie Gustav nur gehen lassen. Wilhelm wird somit ihr Partner und die beiden heiraten auch. Johanne hat den Sohn Joost und Tochter Adda. Joost stirbt im jungen Erwachsenenalter am noch unbekannten Aids, welcher er sich beim ungeschützten Sex mit Männern eingefangen hat. Als die Bombenangriffe beginnen, flüchtet Johanne mit Adda auf die Insel. Wilhelm ist derweilen nicht mehr am Leben und sie Witwe.

Adda:

Wir erleben Ihre Kindheit und Jugend, aber vor allem Ihre Zeit im hier und jetzt, so wie sie mit knapp 18 schwanger wird. Adda wird von Jan, einem Medizinstudenten schwanger. Eine Schande Mitte der 60er. Also nimmt sie das Angebot an, auf der Insel den Kurgast Dr. Eduard Kießling zu heiraten. Er ist wesentlich älter als sie, aber ihn stört das nicht. Immerhin bekommt er ein Bein in das florierende Hotel rein, welches Mutter Johanne leitet. Addas erste Tochter Wanda wächst im Glauben auf, dass er ihr Vater sei. Es folgen die drei Töchter Frauke, Theda und Marijke. Die Kinder wachsen alle auf der Insel auf. Unter dem Dach des Patriarchen und einer schwierigen Familiengeschichte.

Denn dies ist es. Ein Buch über eine Familie mit so endlos vielen Geheimnissen und Dramen.

Wir erleben den Krieg mit. Ungewollte Schwangerschaften. Die Unterdrückung von Frauen und der fehlenden Meinungsfreiheit.

Wir erleben die Geschichte im hier und heute wo der cholerische, engstirnige und besserwissende Patriarch der Familie das Bundesverdienstkreuz erhalten soll. Dies hat er sich mit Lügen, Ellenbogen und das aneignen der Ideen anderer für sich beansprucht. Gestört werden die Vorbereitungen von der jungen Helen. Die junge Frau kommt aus Neuseeland und ist Adda wie aus dem Gesicht geschnitten. Sie sagt sie wäre mit der Familie verwandt. Doch niemand möchte ihr Glauben schenken. Außer Adda, die spürt das mehr dahintersteckt.

Wir erfahren aus Rückblicken in die Vergangenheit von Affären, wer wirklich wessen Vater ist, was manche Personen in ihrem Leben für Schuld und Druck auf sich nehmen um andere zu schützen. Wir lesen im Tagebuch von Tochter Wanda, welche in den Watt ging und stab.

Es ist sehr Umfangreich an Geschehen und Eindrücken. Wir reisen durch fast 70 Jahre Geschichte. Von dem was in der DDR passiert ist und wie sich die Insel und die Menschen verändert haben. Viele Namen und Personen kommen und gehen. Den Zusammenhang zu behalten ist echt schwierig gewesen. Zudem sehr viele Infos über das Watt und die Gezeiten.

Was mich persönlich störte, war die Oberflächlichkeit der Familie. Das niemand so wirklich über Gefühle und Probleme mit den anderen gesprochen hat. Das alles unter den Tisch gekehrt wurde. Der Streit um denselben Mann, der Neid um einen Gegenstand, das Missverstehen warum Johanne so kalt wirkt. Alles wird nach und nach aufgedeckt. Für die Charaktere werden in knapp einer Woche fast alle offenen Fragen ihrer gesamten Lebenszeit aufgedeckt. Für diese und besonders für den Leser etwas viel.

Die Geschichte hat Tiefgang, sie zeigt viele Facetten, Ereignisse und macht Lust nach Juist zu fahren. Aber manchmal ist etwas weniger, etwas mehr. So hätte ich mir bei dem Roman etwas weniger Enthusiasmus gewünscht, wenn es darum geht dieser Familie leidvolles anzutun.