Rezension

Umrahmte Künstlerbiografie

Sei mir ein Vater
von Anne Gesthuysen

Bewertet mit 4 Sternen

In der Wohnung der Pariserin Lilie wurde versucht ein Gemälde ihrer Uurgroßtante und Malerin Georgette Agutte zu stehlen. Als sie das Bild vom Rahmen löst, fällt ihr ein Brief eines Mädchens an deren Vater in die Hände. Bevor sie das Rätsel um den Einbruch lösen kann, reist sie auf Bitten ihrer Freundin Hanna nach Xanten am Niederrhein, um noch einmal ihren ehemaligen Gastvater Hermann zu treffen, der unheilbar erkrankt ist. Da sie die detektivische Ader ihrer Ersatzfamilie kennt, steckt sie Bild und Brief kurzerhand mit ins Gepäck. Neugier und Abenteuerlust wecken Hermanns Lebenswillen und gemeinsam macht sich das Trio auf, das Geheimnis des Bildes zu lösen. Dabei tauchen sie in die künstlerische und politische Welt der Familie Sembat-Agutte zur Zeit der Belle Époque ein.

Anne Gesthuysen hat in ihrem Roman einen autobiografischen Bezug eingebracht und den Tod ihres Vaters sowie die innige Freundschaft zu einer französischen
Austauschschülerin verarbeitet. Die Verbindung von Lilie zu ihrer Urahnin und deren Spurensuche wird auf zwei verschiedenen Handlungs- und Zeitebenen dargestellt.
Das Leben des Ehepaares Georgette Agutte und Marcel Sembat entführt den Leser nach Frankreich Ende des 19. Jahrhunderts. Die Malerin und der Politiker
unterhielten regen Kontakt zu Künstlern wie Pissarro, Signac und besonders zu Henri Matisse, den sie maßgeblich förderten.

Die Nähe der Autorin zur Gegenwartshandlung ist gleichzeitig ihr Schwachpunkt. Man merkt ihr zu sehr an, dass eine konstruierte Geschichte gefunden werden sollte. Das vermeintliche Geheimnis um ein Bild und deren Suche lassen keine Spannung aufkommen. Vielmehr geht es um eine letzte gemeinsame Reise des Vaters mit seinen Lieben. Dazu bleiben die Charaktere aber zu sehr an der Oberfläche. Lediglich Hermann mit seinem direkten, ehrlichen Charme wird gut herausgearbeitet.

Die Biografie des Ehepaares Sembat-Agutte liest sich deutlich interessanter. Im Mittelpunkt steht hier Georgette Agutte, die früh mit ihrer Kunstkarriere startet, aber schnell erkennt, dass sie nie die Qualität und Aussagekraft ihrer berühmten Künstlerfreunde erreichen wird. So ist es auch kaum verwunderlich, das Agutte kaum über die französischen Grenzen hinaus bekannt ist. Ihre bedingungslose Liebe gilt ihrem Mann Marcel, doch ihre geheimsten Gedanken teilt sie ihrem verstorbenen Vater in Briefen mit, der so für sie immer verbunden bleibt.

Zitat:  "Sie hatte das Gefühl, wie ein Ornament aus der Fassade gefallen zu sein, und sie wusste, kein Stuckateur der Welt könnte sie wieder dort einfügen".

Die Leidenschaft und ihr Einsatz für die Kunst zeichnen diese ungewöhnliche Frau aus. Besonders die Begegnung mit Henri Matisse und die Fazination der Entstehung seiner Bilder weckt Interesse am Thema und mach Lust auf mehr Details.

Man liest zwei Romane, die außer dem verbindenden Bild und der Vaterfigur keine Berührungspunkte haben. Die Künstlerbiografie steht für mich klar im Vordergrund und hätte eine detailliertere Ausarbeitung verdient.

Kommentare

Arietta kommentierte am 15. Januar 2016 um 10:43

Ich habe dieses wundervolle Buch auch gelesen ! Es hat mir sehr gut gefallen und ich war sehr tief berührt von der Geschichte . " Einfach wundervoll "