Rezension

Unausgewogen

Was Nina wusste - David Grossman

Was Nina wusste
von David Grossman

Bewertet mit 3 Sternen

Wunderbares Thema: Eine Familientragödie, die noch in der dritten Generation Auswirkungen hat. Die 90jährige Vera hat im damaligen Jugoslawien eine Entscheidung getroffen, die ihre Tochter schwer verstört hat. Die wiederum hadert mit der eigenen Mutterrolle. Enkelin Gili möchte es jetzt wissen, befragt die Oma und dreht einen Film darüber. Was ist passiert und was wusste Nina, ihre Mutter?

David Grossman schreibt wunderbar, plastisch, eindringlich, poetisch, und entschlüsselt gekonnt dieses vertrackte Beziehungsgeflecht. Hier erzählt jeder mal ein bisschen, was einen spannenden Flickenteppich ergibt, der sich zur Familiengeschichte mausert, die mit den politischen Unruhen in Jugoslawien zu Titos Zeit ihren Anfang nimmt.

Das sind die Pluspunkte dieses Buches: Erzählerische Raffinesse, spannendes Thema, einfühlsame psychologische Analyse der Figuren, alle Zutaten, die ein grandioses Buch braucht. Nur belässt es der Autor nicht dabei. Er will auch noch große Kunst und ewige Liebe, der ein Denkmal gesetzt werden muss. Gili und ihr Vater Rafael sind Filmprofis und so filmen sie nahezu besessen, jeden Moment, jedes Wort, jede Regung, verlieren dabei aber aus den Augen, dass es hier nicht um die Oskarnominierung geht. Und um dem Projekt zusätzliches Gewicht zu verleihen, zaubert er noch eine Alzheimererkrankung aus dem Hut. Unnötig.

Grossman setzt auf große Gefühle, vergisst dabei aber den historischen Background zu beleuchten. Vera und ihr Mann waren im Untergrund gegen das Tito-Regime aktiv, erfährt man hier im Nebensatz und hätte gerne mehr erfahren. Die eigentliche Tragödie, verursacht durch die Repressalien eines diktatorischen Regimes tritt zurück hinter einem aufgebauschten Gefühlsdilemma, Liebe gegen Verantwortung, Mutterliebe gegen Familienehre. Schade.

Man spürt das emotionale Engagement des Autors, der, wie er im Nachwort erzählt, Eva Panić-Nahir persönlich gesprochen hat. Auf ihrer Geschichte beruht dieses Buch, eine tragische Geschichte, die wirklich erzählenswert ist und es nicht nötig hat, mit Effekten ausgeschmückt zu werden.

Der tolle Erzählstil gleicht vieles aus, es ist durchaus lohnend, dieses Buch zu lesen. Es ist nur eher ein Rührstück geworden, was das Zeug zu großem Kino gehabt hätte.

 

 

Kommentare

aimée kommentierte am 10. September 2020 um 08:53

Danke für die Rezi, hab jetzt ein sehr viel genaueres Bild vom Buch!