Rezension

Unblutiger, unaufgeregter Krimi aus Skandinavien über zwei unaufgeklärte Verbrechen der Vergangenheit - spannend erzählt und mit glaubwürdigen Ermittlern

Wisting und der Tag der Vermissten - Jørn Lier Horst

Wisting und der Tag der Vermissten
von Jørn Lier Horst

Bewertet mit 4 Sternen

Kriminalkommissar William Wisting trifft sich jährlich mit Martin Haugen, dessen Ehefrau Katharina vor 24 Jahren verschwunden ist. Haugen war zunächst selbst verdächtig, hat jedoch ein Alibi, was die vermeintliche Tatzeit betrifft. Wisting hat sich mit dem zurückgezogen lebenden Mann angefreundet, auch wenn er nach wie vor glaubt, dass Haugen mehr über das Verschwinden seiner Ehefrau weiß. 

In diesem Jahr verläuft der Jahrestag anders als sonst, denn Wisting trifft Haugen zunächst nicht an. Dafür erfährt er, dass Haugen Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren eines anderen Vermisstenfalls ist, der sich vor 26 Jahren ereignet hat und nicht aufgeklärt werden konnte. Damals ging es um die Entführung einer gut situierten 17-Jährigen. Zusammen mit einem Kriminalkommissar für Cold Cases aus Oslo, Adrian Stiller, beginnt die Polizei beide Fälle wieder aufzurollen - in der Hoffnung, Haugen nach all den Jahren überführen zu können. 

"Wisting und der Tag der Vermissten" ist Band 1 der "Cold Cases" von Jørn Lier Horst, aber bereits Band 12 um den norwegischen Kriminalkommissar William Wisting. Der Krimi entwickelt sich gemächlich, wirkt aber durch die kurzen Kapitel und Perspektivenwechsel sehr dynamisch. Der Fall und die Ermittlungen werden überwiegend aus Sicht von Wisting, aber auch aus der Perspektive des jungen, ehrgeizigen Ermittlers Stiller sowie Wistings Tochter Line geschildert, die als Journalistin den "Cold Case" um die Entführung aufarbeitet, mit dem Haugen aus der Reserve gelockt werden soll. 

Der Krimi ist abwechslungsreich erzählt, da man nicht nur Einblick in die Ermittlungen, sondern auch in die Pressearbeit und das Privatleben von Wisting erhält. Zudem ist Wisting ein Polizist, der ruhig und besonnen agiert und im Gegensatz zu vielen anderen literarischen Kommissaren herrlich normal und glaubwürdig ist. 

Es ist ein unblutiger, ruhiger Krimi, bei dem es um die Aufklärung jahrzehntealter Fälle geht, weshalb die Ermittler weitgehend ohne Druck neuen Spuren folgen und von neuen Ermittlungsmethoden, die Ende der 1980er-Jahre noch nicht existierten, Gebrauch machen können. Spannung entsteht damit nicht durch die Frage, ob die vermissten oder entführten Personen noch gerettet werden können, sondern wie die beiden Fälle mit einander in Zusammenhang stehen, welche Rolle dabei der ominöse "Katharina-Code" spielt, der bisher nicht entschlüsselt werden konnte, und ob der oder die Täter nach all den Jahren zur Rechenschaft gezogen werden können. 

Fazit: ein unaufgeregter, solider Krimi aus Skandinavien mit einem sympathischen Ermittler und subtiler Spannung. 
Band 2 der Reihe erscheint bereits am 3. Januar 2020, in dem Wisting wieder mit Stiller einen unaufgeklärten Kriminalfall aufrollt.