Rezension

Und ein Funken Hoffnung bleibt bis zum Schluss

Winters Garten - Valerie Fritsch

Winters Garten
von Valerie Fritsch

Bewertet mit 5 Sternen

~~Klappentext
Winters Garten, so heißt die idyllische Kolonie jenseits der Stadt, in der alles üppig wächst und gedeiht, die Pflanzen wie die Tiere, in der die Alten abends Geige spielend auf der Veranda sitzen, die Eltern ihre Säuglinge wiegen und die Hofhunde den Kindern das Blut von den aufgeschlagenen Knien lecken.
Winters Garten, das ist der Sehnsuchtsort, an den der Vogelzüchter Anton mit seiner Frau Fredericke nach Jahren in der Stadt zurückkehrt, als alles in Bewegung gerät und sich wandelt: die Häuser und Straßenzüge verfallen, die wilden Tiere in die Vorgärten und Hinterhöfen eindringen und der Schlaf der Menschen schwer ist von Träumen, in denen das Leben, wie sie es bisher kannten, aufhört zu existieren.

 

Man wartet viel, wenn man Kind ist, und: man erwartet viel. Als Kind besitzt man diese unsagbare Zeit, sich die Welt anzusehen. Man geht tastend durch die Welt und weckt die Gegenstände. Nie wieder weiß man so viel, und nie wieder verspricht man sich so viel von ihr. Nie wieder schaut man so uneitel auf all das, was anwesend ist um einen. Die Augäpfel sind Erdkugeln, auf denen eine Schwerkraft wirkt, die alle Bilder aus dem Äther zu ihnen herabzieht. Nie wieder sieht man in Kleinigkeiten so sehr Grund zu großen Hoffnungen.“ (Seite 20)

Der Roman setzt in Anton Winters Kindheit ein. Sein Leben in Winterschen Garten, der gleichzeitig eine Kolonie ist. Dort tummeln sich Menschen aller Art. Alte und Junge gleichermaßen. Das Ganze hat für mich etwas von einer Hippiekommune. Für Anton ist es das Paradies. Als Anton alt genug ist, bringt ihm sein Vater das Geigen bauen bei. Als seine Großmutter, die er sehr liebt, stirbt, verschwindet Anton aus der Kolonie.

Noch heute liebte er so wie damals die Minuten nach dem Erwachen, in denen man ins Narrenkastel schaute und sich die Welt um einen herum erst langsam wieder herstellte, während der Körper noch eine Mumie, eine stille Hülle vom Schlaf war, in der sich nur die Augen bewegten. Diese Leere vor oder hinter der Welt, in die man hineinschaute. Auch wenn er heute gar nicht mehr weit schauen musste für diese Leere.“ (Seite 43)

Jetzt lebt Anton in der Stadt. Diese ist nur 1 Stunde Fahrt von der Kolonie entfernt. Hier arbeitet er als Vogelzüchter und jetzt erfahre ich auch das erste Mal, dass die Welt untergehen wird. Warum und wieso wird nicht näher beschrieben. Allerdings ist das Leben in der Stadt unerträglich. Regelmäßig gibt es Massenselbstmordpartys, die Stadt zerfällt immer mehr und das Leben weicht langsam aus allem und jedem heraus.

Immer noch war das Leben ein Warten. (…)Jeder war abgenabelt, von der Zukunft, die er sich ausgemalt hatte, von all ihren Verheißungen und Herausforderungen.“ (Seite 47)

Eines Tages treffen Anton und Fredericke aufeinander, und sie verlieben sich ineinander. Für Anton ist es die erste Liebe. Und obwohl das Leben ja bald vorbei ist, versuchen die beiden ihre Liebe zu leben. Kurz vor der endgültigen Apokalypse gehen sie zurück in den Winterschen Garten.

Sie hat ihn so vermisst. (…) All die kleinen Gesten, die die beiden miteinander verbanden, haben ihr so sehr gefehlt, und sie hat gewusst, dass niemand Neues kommen wird, um sie zu ersetzen. Ich glaube es war nicht nur der Verlust, es war auch der Liebeskummer, den man noch im Alter spürt, wenn man sich nicht erinnern kann, wann einem jemand das letzte Mal die Hand gehalten hat.“ (Seite 116)

Ich bin immer noch sehr aufgewühlt, denn dieses Buch hat mich echt umgehauen. Obwohl durch die Thematik eine durchgehende Weltuntergangsstimmung herrscht, gelingt es der Autorin Valeri Fritsch mit ihrer bildhaften und poetischen Sprache eine Sehnsucht in mir zu wecken, welche mit jeder Seite mehr wird. Eine Sehnsucht nach dem Leben, dem Lieben und den Kleinigkeiten in meinem Leben. Ich spüre die Hoffnung und die Erwartungen der Protagonisten, dass es doch irgendwie weiter geht … nach der Apokalypse.

Alles, was war, teilt sich die Welt mit all jenem, was sein würde.“ (Seite 16)

Ich habe noch lange über dieses Buch nachgedacht und möchte an dieser Stelle einmal eine sehr gewagte Interpretation meinerseits dazu geben.

Nach dem Ende des Buches war für mich irgendwie klar, dass es sich bei Winters Garten um das Paradies handeln muss. Anton und all Bewohner dieses Gartens sind dort glücklich. Als Anton dann in die Stadt geht, in meinen Augen die Vertreibung aus dem Paradies, fühlt er sich allein und einsam. Erst nachdem er mit Fredericke wieder zurück geht, wird er wieder glücklich. Und selbst nach dem Ende der Welt befindet er sich im Paradies …

 „Es herrschte eine Ruhe, in der man sich den Atem verhalten mochte, jene Stille, wie sie in den atemlosen Sekunden am Ende eines Theaterstücks eintrat, in denen alles schon vorbei war und man noch nicht wusste, ob es gut oder schlecht gewesen war, bevor der schwarze Vorhang fiel und das Publikum sich für Gnade oder Empörung entschied.“ (Seite 143/144)

Für mich ist dieses Buch definitiv eines meiner Highlights in 2015.
Chapeau Valerie Fritsch!!!