Rezension

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Und es werde Licht!

Eine Farbe zwischen Liebe und Hass - Alexi Zentner

Eine Farbe zwischen Liebe und Hass
von Alexi Zentner

Bewertet mit 4 Sternen

Eine Geschichte durchzogen von Fragen nach Menschlichkeit und Solidarität

Dieses Buch stellt für mich immer wieder die Frage nach Disposition – und hier weniger biologischer, sondern eher soziologischer Art – in welches Land, welche Familie werde ich hineingeboren und wie beeinflusst diese meinen weiteren Lebensverlauf.

Im Mittelpunkt des Buches steht der siebzehnjährige Jessup, dessen Züge man zu Beginn langsam kennenlernt. Zunächst wird hierbei ein recht sadistisches Bild von ihm gemalt, erkenntlich an seinem Gefallen an der Brutalität seines Sports (Football - Freude auf die Hässlichkeit des Spiels) und an Schmerz. Neben diesen rauen Zügen zeigt er gleichwohl weiche Seiten, die insbesondere in seiner Beziehung zu seiner jüngeren Schwester Jewel und seiner Freundin Deanne hervortreten. Die Mitte zwischen beiden Polen bildet seine Sehnsucht nach Ruhe, die er bei der Jagd findet. Jessup ist generell eher schweigsam. Und er sehnt sich immer wieder nach Unsichtbarkeit, die ihm aufgrund seiner Statur und vielmehr durch die Geschichte seiner Familie vergönnt ist.

Das Buch liest sich nicht nur wie ein Porträt eines jungen Mannes, sondern auch wie eines einer Familie. Da ist Jessups Mom, Cindy, die aus jeder ihrer Beziehungen ein Kind hervorgebracht hat. In Jessups Alter wurde sie von ihren Eltern vor die Tür gesetzt - da ist sie bereits Mutter eines Sohnes. Es folgen Jessup, dessen Vater dem Alkohol verfallen ist und noch vor seiner Geburt verunglückt. Mit David John, dem dritten Partner seiner Mutter, enden ihre Doppelschichten, ihr Hang zum Alkohol und der Kühlschrank ist fortan stets gefüllt. Er behandelt Jessup und seinen älteren Bruder Ricky wie seine leiblichen Kinder. Mit ihm zieht auch die Kirche in die Familie ein. Das Leben aller wendet sich mit dem Totschlag zweier Schwarzer Studierender durch Ricky unter Beteiligung von David John. Als letzterer vier Jahre nach der Tat wieder freikommt, setzt der Verlauf der Geschehnisse in dem Buch ein. Dieser Tag ist es auch, der Jessups Leben abermals für immer nachhaltig verändern wird. 

Jessup wünscht sich derweil ein Leben zurück, in dem er nicht bezweifelte, dass sein Stiefvater ein guter Mensch und seine Kirche die richtige ist. Wohin Jessup auch geht, die Geschehnisse um seinen Bruder und Stiefvater eilen ihm wie ein Stigma voraus. Sich dieses Umstands bewusst, arbeitet er umso härter – für seine Bildung und die damit verbundenen Chancen, für den Unterhalt seiner Familie während der Abstinenz seines Stiefvaters. Manches Mal möchte man ihn einfach aus der Situation nehmen und in eine unbeschwertere Gegenwart verpflanzen. So wie er sich selbst so weit es geht entfernt von seiner Heimat Cortaca wünscht und sich aus diesem Grund bei entlegenen Universitäten beworben hat. 

Die Stärke des Buches besteht für mich in der Charakterisierung des Protagonisten. Sie ließ mich im nahe fühlen, ihm das Beste wünschen. Sein Leben und Handeln ist scheinbar voller Ambivalenzen: Angehöriger der Kirche des Weißen Amerikas und Freund einer Person of Color, liebender und zärtlicher großer Bruder und gleichwohl brutaler Football-Spieler. Auch sein Stiefvater David John ist von Widersprüchlichkeiten durchzogen. Immer mehr kommen Jessup Zweifel an der Vereinbarkeit von David Johns Verhalten, seinen Tattoos und seinem Glauben.

Trotz all der Ereignisse in diesem Werk ist es irgendwie ein stilles Buch und das macht für mich gerade seine Kraft aus. Es hat nichts Reißerisches, Wertendes, Fingerzeigendes. Vielmehr hat es einen zwischenmenschlichen Sog. Neben der Frage nach Menschlichkeit in unserem Tun, unserem Glauben, geht es um die Machenschaften im Lichte oder vielmehr unter dem Deckmantel von Religion, aber auch um Solidarität und das Thema Kapital – in finanzieller und kultureller Form. 

Letztlich bleibt für mich die Frage, welche Farbe zwischen Liebe und Hass liegt. In jedem Fall hat sie eine helle Nuance und eine, die für mich stets mit der Erinnerung an dieses Buch verbunden sein wird.