Rezension

"und ich erzähle nichts."

Im Bauch der Königin - Karosh Taha

Im Bauch der Königin
von Karosh Taha

Bewertet mit 4.5 Sternen

Zwei Geschichten stecken in diesem Buch und zwei Erzähler führen uns durch ihre persönlichen Erlebnisse. Dazu passend lässt sich der Roman von hinten wie von vorne beginnen. Es gibt zwei Cover, zwei kurze Portraits der Autorin und zwei Inhaltsangaben. Das ist wunderbar durchdacht und etwas besonderes im Bücherregal. Schön!

Erzählt wird einmal von Amal; die Tochter irakischer Einwanderer ist ein wildes Mädchen, dass sich nicht in eine bestimmte Form pressen lassen will. Ihr Vater erdet sie, doch irgendwann hält er es in Deutschland nicht mehr aus. Er geht zurück in den Irak wo er endlich wieder als Architekt arbeiten kann. Seine kleine Familie bleibt zurück. Amal wird zur Außenseiterin und freundet sich mit Younes an, dessen Vater ihn vor Jahren ebenfalls verlassen hat und dessen alleinstehende Mutter für viel Gesprächsstoff im Viertel sorgt.

Raffiqs Geschichte scheint eine Variante des eben gelesenen. Auch er ist ein Kind irakischer Einwanderer und lebt in der gleichen Hochhaussiedlung. Wir kennen ihn bereits als Nebenfigur aus Amals Geschichte. Doch hier sind einige Dinge verändert: So ist Younes hier Raffiqs bester Freund und Amal tritt nur als Nebenfigur auf, ist aber nicht mehr Außenseiterin sondern gehört zur Clique. Waren Younes und seine Mutter vorher ein Herz und eine Seele stößt ihn nun ihre Offenherzigkeit ab und die Sehnsucht nach seinem Vater wird immer stärker. Raffiq selbst lässt sich zufrieden aber etwas planlos durchs Leben treiben als er plötzlich mit dem Plan seines Vater konfrontiert wird, mit der gesamten Familie zurück in den Iran zu gehen.

In Amals Erzählung hat mich vor allem die herzzerreißende Vater-Tochter-Geschichte begeistert, die mich gerade durch Amals Stärke mehr berührt hat als jeder Versuch auf die Tränendrüse zu drücken es vermocht hätte. Diese Mischung aus Liebe und Wut, Unverständnis und Hoffnung, die es so nur in der Beziehung zwischen einem Kind und einem Elternteil gibt, war grandios beschrieben. Ich habe mit Amal gelitten, die ihre Geschichte in einem besonderen Stil erzählt: Mal hektisch mal nachdenklich, wie ein steter Gedankenstrom.

„Sie bleiben stehen die Leute, und immer fragen sie mich, wie es bei meinem Vater in Kurdistan war, als hätten sie meine Antwort vergessen, und immer wieder werden sie fragen, als hätten sie vergessen, dass sie gefragt haben, und immer wieder fragen sie mich, wie es bei meinem Vater in Kurdistan war, und ich bleibe stehen, und ich erzähle nichts.“
S. 131

In Raffiqs Geschichte haben mir besonders die kleinen Parallelen zur vorangegangenen Erzählung Freude gemacht: Das Filzstifttor an der Supermarktwand, rote Fingernägel, der kleine Junge mit den Einkaufstüten, die Vorliebe für Kniekehlen. Alles Indizien dafür, dass es die gleiche Welt ist, und doch ist es nicht die gleiche Welt. Auch Raffiqs Entwicklung und der Fokus auf die Vater-Sohn-Geschichte von Younes haben mir gut gefallen, allerdings war ich nicht ganz so involviert wie bei Amal.

Es steckt so viel in diesem Buch: Die Rolle der Frau und der Blick auf sie aus einmal männlicher und einmal weiblicher Perspektive, Identität, Heimat, Akzeptanz, Auswanderung, Familie, Integration, Freundschaft, Gesellschaft, Entwicklung und immer wieder die Beziehung zwischen Eltern und Kind.

Karosh Taha ist eine wunderbare Erzählerin, die mit „Im Bauch der Königin“ einen ruhigen, klugen Roman geschrieben hat, der mich gelockt hat, ihn direkt noch einmal zu lesen. Lebendige Figuren und zwei dezent miteinander verwobene Geschichten voller Schmerz, der trotz seiner Alltäglichkeit nichts von seiner Schärfe verliert. Taha hat sich mit ihren beiden Romanen in mein Herz und in meinen Kopf geschrieben.