Rezension

Und immer wieder das Meer

Wir Ertrunkenen - Carsten Jensen

Wir Ertrunkenen
von Carsten Jensen

Carsten Jensen setzt den Marstaler Seeleuten ein Denkmal, indem er ihr Werden, Fahren und Ertrinken erzählt. Mit den drei Generationen der Familie Madsen (Laurids, Albert und Knud Erik, der allerdings kein Madsen mehr ist) geht die Lektüre auf Große Fahrt – von Dänemark bis Shanghai, New York und Samoa. Mehr als hundert Jahre Seefahrt umspannt dieser Roman und intoniert den Abgesang auf die Segelschifffahrt. Ich war mir nicht sicher, ob ich das mögen würde, zumal auf achthundert Seiten.

Aber ich mag es nicht nur, ich liebe es: Jensen hat nämlich große Lust zu erzählen und begibt sich mit einer undefinierten Wir-Perspektive mitten unter die Marstaler, direkt ins Geschehen hinein. Überdies spickt er die Lebensgeschichten der Figuren mit so viel Anekdoten, Geschichten, Seeluft und Salzrändern, dass es nie langweilig wird.

Dabei vergisst Jensen nicht, einige Grundtöne in die Story zu weben, nämlich einerseits die Melancholie angesichts der sich wandelnden Zeiten und der untergegangenen Romantik der Großsegler, andererseits die Entlarvung dieser Romantik als hartes Schicksal voll Arbeit und Schmerz und zum dritten die gespiegelte Geschichte der Daheimgebliebenen, der Mütter, Ehefrauen und Kinder nämlich, die es weniger und weniger ertragen wollen, den Tod auf See als schicksalsgegeben hinzunehmen.

Dieses dritte Motiv verkörpert Klara Friis, Witwe, Erbin und plötzliche Reederin, die es sich zum Ziel gemacht hat, die Schiffe ein für alle Mal aus Marstal zu verbannen und den Männern der Stadt ein Leben an Land aufzuzwingen. Klara ist Jensen gut gelungen, und ihr monströses Ziel, das Meer gleichsam aus Marstal herauszupeitschen, ist großartig.

Dass Jensen bisweilen die Spur verliert, ist auf achthundert Seiten zu vernachlässigen, desgleichen, dass sich die Erzählung in den drei Kreisen der Generationen strukturell wiederholt.

Ich habe „Wir Ertrunkenen“ auch als Abenteuer gelesen und es sehr gemocht – und das nicht etwa, weil ich Segler bin, sondern trotzdem.