Rezension

Und nebenan warten die Sterne

Und nebenan warten die Sterne
von Lori Nelson Spielman

Als erfolgreiche Immobilienmaklerin kommt bei Erika immer die Arbeit zuerst. Als ihre Tochter Kirsten jedoch bei einem Zugunglück stirbt, weil sie einen Termin vorzog, statt Kirsten wie versprochen mit dem Auto zur Uni zu fahren, kann sie es kaum fassen. Als sie bei Kirstens Sachen ein Sprüchebuch findet, das allerlei Kommentare über Erika enthält, beschließt sie, sich zu verändern, in der Hoffnung, ihre Tochter habe überlebt und käme zu ihr zurück, sofern sie fortan bloß die richtigen Prioritäten setze. Dass sie ihre Adoptivtochter Annie dabei völlig vor den Kopf stößt, scheint ihr gar nicht aufzufallen, bis diese nach Paris geht, um Kirsten zu suchen, da auch sie nicht glaubt, dass ihre Schwester wirklich tot ist; erst recht nicht, seit sie von einigen Dingen erfahren hat, die diese offenbar verheimlichte. Während Annie als Au-Pair in Frankreich unterkommt und ihrer Mutter den Kontakt verweigert, muss sich Erika auf der Insel ihrer Kindheit plötzlich mit ihrer eigenen komplizierten Vergangenheit auseinandersetzen – und dem Absender anonymer Emails mit dem Titel „Wunder gesucht“, der ihr mit seinen kryptischen Botschaften zu helfen versucht. Und ein Wunder könnte sie auf jeden Fall gebrauchen…

Optisch passt das Buch wieder einmal perfekt zu den beiden bisher von Lori Nelson Spielman in Deutschland erschienenen Büchern, was sich super im Regal macht.

Die Geschichte wird abwechselnd aus der Perspektive von Erika und Annie erzählt, wobei Erikas Teil aus der Ich-Perspektive geschrieben ist, während der Leser über Annies Entwicklung in der 3. Person auf dem Laufenden gehalten wird.

Der Schreibstil ist flüssig und angenehm zu lesen, sodass man leicht in die Geschichte hineinfinden kann.

Vor allem das Thema Realitätsverdrängung wird in diesem Buch sehr stark thematisiert – als Leser kann man regelrecht beobachten, wie Annie und Erika sich jede auf ihre eigene Weise der Tatsache, dass Kristen tot ist, verweigern und manchmal sogar gegenseitig ihre Hoffnungen und Illusionen beflügeln. Dadurch schwankt man als Beobachter zwischen Mitgefühl und Wut darüber, dass keiner der beiden die Realität wahrhaben will und sie sich immer wieder neue Theorien zur Flucht vor dem Unausweichlichen erdenken: dass ihre Tochter und Schwester nicht wiederkommen wird.

Erikas Verwandlung von der toughen Business-Frau zurück zu ihrem ‚wahren‘ Selbst sollte einem die Figur im Laufe der Zeit vermutlich immer sympathischer machen – leider gelingt das jedoch nur bedingt: Gerade ihr kontrollierendes Verhalten Annie gegenüber bis zum Schluss des Romans macht für mich jeden Schritt, den diese Figur in die richtige Richtung gemacht hat, wieder zunichte. Annie bittet sie um eine einzige Sache – ihr Kontaktverbot hinzunehmen und damit klarzukommen, dass sie einmal nicht weiß, was Annie wann und wo genau tut, und sie hintergeht sie, wo sie nur kann, indem sie einen mehr als engen Kontakt zu Annies Au-Pair-Vater Tom Barrett aufbaut, in den Annie sich verliebt hat. Bei einem derartigen Vertrauensbruch, nach allem, was passiert ist, wirkt Annies Verhalten im letzten Kapitel mehr als unglaubwürdig.

Annie an sich kommt ansonsten jedoch wahnsinnig sympathisch rüber, besonders im Umgang mit Tom Barretts Tochter, der kleinen Olive, welche viel zu früh ihre Mutter verloren hat. Auch hat sie einige Macken, die sie als Charakter greifbar machen und aufgrund derer man sich prima mit ihr identifizieren kann.

Insgesamt ist Und nebenan warten die Sterne von Lori Nelson Spielman also ein gelungener, schnell zu lesender Roman über das Loslassen und das Wiederzusammenfinden, bei dem lediglich ein bestimmter Charakterzug einer Hauptperson etwas zu wünschen übriglässt.