Rezension

Und plötzlich bist du ein Druide!

Die Chroniken von Mistle End: Der Greif erwacht - Benedict Mirow

Die Chroniken von Mistle End: Der Greif erwacht
von Benedict Mirow

Bewertet mit 4.5 Sternen

Cedrik und sein Vater sind mit Sack und Pack per Bahn auf dem Weg nach Mistle End in Schottland. Aengus O’Connor hat seine Stelle als Mythologie-Experte verloren, als das Museum für Fabelwesen geschlossen wurde, und wird in dem schottischen Dorf als Lehrer arbeiten. Cedrik spürt schon bei seiner Ankunft im von einer mit Zinnen bewehrten Mauer geschützten  Mistle End ein Gefühl des Nachhause-Kommens, das er zugleich beunruhigend findet. Das riesige Haus voller Antiquitäten, in dem Vater und Sohn unterkommen, gleicht selbst einem Museum, mit einem Turmzimmer direkt über Cedriks Zimmer. Schon bald erkennt Cedrik, dass das Dorf von einem riesigen Greif als Wappentier beschützt wird und weitere Greifen in Form von steinernen Wächterfiguren darauf zu warten scheinen, ins Dorfleben einzutreten. Der Greif weiß mehr über Cedrik, als dem Jungen selbst bewusst ist. Cedrik befindet sich mit 12 Jahren an einem Punkt, an dem sein Muggel-Vater ihm alles mitgegeben hat, was er konnte, und der Junge beim Heranwachsen andere Erwachsene und Gleichaltrige als bisher benötigt. Ob Aengus überhaupt ahnt, wo er hingeraten ist, obwohl im nichts Magisches fremd sein sollte, daran habe ich eine Weile gezweifelt.

Bei Cedrik wird die Suche nach Mentoren schwieriger sein als bei anderen Kindern; denn als Sohn einer Waldnymphe ist er ein Druide, was ihm vor seiner Ankunft im Dorf nicht bewusst war. Cedriks gleichaltrige Unterstützer werden Emily als Gestaltwandlerin und Elliot als jugendlicher Hexenmeister sein. Die Eltern der Kinder betreiben die Dorfbäckerei. Mutter Esmeralda Golden ist für das leibliche Wohl zuständig, ihre Hexenfähigkeiten sollten jedoch besser nicht unterschätzt werden. Sie hat es zwar noch nicht getan, aber wenn E&E sie nerven, droht sie schon mal damit, ihre Brut in Kekse zu verwandeln und in ein Glas zu sperren. Elliot hat schon vier Hexerdiplome erworben, während Cedrik, von seinen magischen Fähigkeiten überwältigt, erst noch erkennen muss, dass untrainierte Magiere für sich und andere zur Gefahr werden können. Natürlich bekommt Cedrik schnell zu spüren, dass das Dorf längst nicht so beschaulich ist, wie es aussieht. Er wird sozusagen direkt ins kalte Wasser geworfen und muss Magie anwenden, deren Wirkung er noch nicht einschätzen kann. … Nach gefährlichen Kämpfen, auch zwischen Druiden, muss selbst der Greif einsehen, dass man weniger über Feinde von außen grübeln sollte, sondern sich stärker damit befassen, was sich in nächster Nähe abspielt und wen man da vor sich hat.

Als erwachsene Fantasyleserin bin ich immer wieder überrascht, dass ich mit jedem gelesenen Buch Greife, Gargoyle und andere magische Wesen mit anderen Augen sehe. Der Einstiegsband der „Chroniken von Mistle End“ richtet sich an Leser ab 10. Neben dem atmosphärisch gezeichneten Dorf in Schottland hinter seiner Mauer und den hinreißenden Figuren überzeugt Benedict Mirows Jugendroman besonders als Entwicklungsgeschichte. Cedrik muss sich Verbündete und erfahrene Druiden suchen, um seine Fähigkeiten wahrnehmen und steuern können. Dazu wird er sich von seinem Vater abnabeln und andere Wesen selbst einschätzen lernen. Ein versöhnliches Ende – wie wir es von Märchen erwarten – unterstreicht, dass Cedrik an den Herausforderungen gewachsen ist und bald auf eigenen Füßen stehen wird.