Rezension

Underground Railroad

Underground Railroad
von Colson Whitehead

Bewertet mit 5 Sternen

Georgia, Anfang des 19. Jahrhunderts. Cora lebt als Sklavin auf der Randall Farm, dort ist sie geboren, etwas anderes als die harte Arbeit und die schrecklichen Strafen kennt sie nicht. Ihrer Mutter ist vor Jahren die Flucht geglückt, was das Leben für Cora nicht einfacher macht. Nachdem sie sich einer Gruppe Männer erfolgreich zur Wehr gesetzt hat, gehört sie zu den ausgestoßenen Frauen, was ihr aber die Möglichkeit eines halbwegs friedlichen Lebens eröffnet. Als Caesar sie zum ersten Mal wegen einer möglichen Flucht anspricht, lehnt sie ab. Schon ihre Großmutter hatte das zugeteilte Schicksal widerspruchslos ertragen. Doch die Situation auf der Farm ändert sich und so stimmt Cora schließlich doch zu, auf das geheime Netzwerk der Underground Railroads zu vertrauen und die gefährliche Flucht zu wagen. Die nächsten Monate wird sie in Angst leben, mal mehr mal weniger, weite Teile der USA kennenlernen, von Freiheit träumen und doch immer wieder an ihre Herkunft erinnert werden. Wird die junge schwarze Frau jemals dem ihr zugeschriebenen Los endgültig entkommen können?

 

Colson Whiteheads Romane wurden vielfach mit Preisen ausgezeichnet und mit Lob überhäuft. „Underground Railroad“ konnte jedoch alle vorherigen weit übertreffen. Es wurde zwar schon dadurch geadelt, dass President Obama es als Sommerlektüre 2016 benannte, erhielt danach den National Book Award Fiction 2016, die Carnegie Medal for Excellence in Fiction 2017, den Pulitzer Prize for Fiction 2017, den Arthur C. Clarke Award 2017 und stand auf der Longlist des Booker Prize 2017. Sich einem solchen Roman unvoreingenommen zu nähern, ist quasi unmöglich, aber die Messlatte liegt auch hoch und kurzgefasst resümiert: locker übertrifft der Roman die Erwartungen.

 

Zunächst zum titelgebenden Phänomen der Underground Railroads. Diese unterirdischen Züge existierten tatsächlich und waren ein Netzwerk geheimer Routen und sicherer Häuser, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts von Abolitionisten geschaffen wurden, um Sklaven bei der Flucht zu helfen. Dabei riskierten die Helfer ihr Leben, was man im Roman auch leider immer wieder erleben muss. Die Strafen für sie waren drakonisch, das wussten sie, und dennoch haben sie das Risiko für diese Sache auf sich genommen. In der Geschichte der USA ist dieses Thema für mein Empfinden nur wenig präsent, umso erfreulicher, dass ein Roman es schafft, in der breiten Öffentlichkeit einen Aspekt der Sklaverei bekannt zu machen und so einen wesentlichen Beitrag zur historischen Bildung beizutragen.

 

Der Roman lebt jedoch von der Protagonistin Cora. Sie hat einen großen Überlebenswillen, kann beherzt reagieren, wenn erforderlich, ist jedoch auch sehr bedacht in ihrem Handeln. Sie ist kein bedauernswertes Opfer, sondern eine starke Persönlichkeit, die zukunftsorientiert und wissbegierig ihren Weg geht und Rückschläge tapfer verkraftet. Ihr Leben ist ein kontinuierliches Auf und Ab, geschenkt wird ihr nichts, nur manchmal ist das Glück auf ihrer Seite – aber es ist ein volatiles Gut. Gerade für einen historischen Zeitpunkt, der doch sehr stark männerdominiert war, insbesondere auch bei den Weißen, eine Frau, die mutig ihren Weg geht, als Protagonistin auszuwählen, hat mir insbesondere gefallen.

 

Colson Whitehead und dem Übersetzer Nikolaus Stingl gelingt es auch einen passenden Ton für die Erzählung zu finden. Bisweilen brutal in der Darstellung der Bestrafung der Sklaven schafft dies aber die notwendige Authentizität, die den Roman lebendig wirken lässt. Ähnlich wie Coras Leben mal hektischer und mal in ruhigeren Bahnen verläuft, ist auch der Erzählton angepasst und findet so einen stimmigen Rhythmus.

 

„Underground Railroad“ ist vermutlich einer der wichtigsten Romane des Jahrzehnts, der völlig zurecht in den Kanon der amerikanischen Literatur eingehen dürfte und sollte. Es wäre ein Verlust, wenn man sich dieses Werk entgehen lassen würde.