Rezension

Unerwartet gut !

Wie man aus dieser Welt verschwindet - Idra Novey

Wie man aus dieser Welt verschwindet
von Idra Novey

Bewertet mit 4.5 Sternen

Toller Aufbau. Vom einlullenden Anfang bis zum Kern, der gehaltvoller ist, als man denkt.

„Wie man aus dieser Welt verschwindet“ ist ein typischer brasilianischer Roman. So typisch, denke ich, dass er umständlich, unverständlich, ein wenig exotisch und halt „komisch“ ist. Was man ja in Kauf nimmt. Hauptsache: südamerikanisch.

Aber letztlich: nein. Dieses kleine Buch nimmt mich nach und nach für sich ein, immer mehr. Ja, dieser Roman verwundert. Und überrascht. Ungeheuer positiv ist seine Entwicklung. Was daran liegen mag, dass die Autorin eben gar keine Brasilianerin ist, sondern Amerikanerin. „Wie man aus dieser Welt verschwindet", ist der Debütroman der Autorin Idra Novey und befindet sich auf Anhieb auf der Finalistenliste des L.A. Times Book Prize for Fiction. (Irgendeinen amerikanischen Preis hat das Buch dann gewonnen. Verdient!).

Idra Novey, geboren 1978, bleibt hoffentlich beim Schreiben!

Lange Zeit weiß man gar nicht, wessen Geschichte dieser Roman eigentlich erzählt. Die der schon älteren, erfolgreichen Autorin Beatriz Yagoda, die eines Tages mit einem Koffer in der Hand in den Park geht und auf einen Baum steigt?Ja, klar. Jeder regt sich über ihr Verschwinden auf.

Die ihrer Übersetzerin Emma, die eigens aus den Staaten anrückt, um nach ihr zu sehen und sich in die kleine Familie drängt. Oh ja. Emma nimmt einen großen Raum ein. Sehr zum Verdruss von Tochter Raquel.

Oder ist es die Geschichte ihres Verlegers Rocha, der durch Beatriz Romane groß wurde?

Oder die ihres Sohnes Marcus, der so schön ist und ein Luftikus und dem einiges bevorsteht, was er zum Glück noch nicht weiß.
Alles beginnt slow motion. Von der im Baum hockenden Autorin erfährt man enttäuschender Weise gar nichts. Wie lebt man auf einem Baum? Wie geht man zur Toilette, was isst man, wie schläft man? Wird nicht thematisiert.

So slow motion ist die Story, dass man sich fragt, ob man sich etwa langweilt. Na ja. Nicht wirklich. Die Kapitel sind zu kurz, um sich zu langweilen. Eine Seite, zwei, drei. Nächstes.

Die Kinder suchen nach der Mutter. Der Verleger erinnert sich. Alle erinnern sich an die Romane der Beatriz Yagoda, die durchaus merkwürdige Inhalte hatten. Verwirrende Inhalte. Südamerikanisch-bizarre symbollastige Inhalte.

Dann, man möchte ein wenig einschlummern, hat einen die Hitze Rios gepackt. Man macht Siesta, spürt die südamerikanische Depression und dann wird man ganz langsam, aber soghaft, in eine überaus berührende Geschichte gezogen, die auf eine Art und Weise erzählt wird, ganz leise, wie ich sie kaum kenne. Indirekt. Furchtbar. Katastrophal. Verstörend.

Der Autorin ist es gelungen, die fremde Atmosphäre Brasiliens täuschend echt darzustellen. Südamerikaner sind immer irgendwie depressiv, me thinks.

Fazit: Ein Roman, der unterhält, wenn man neugierig bleibt und in der Hitze der Stadt nicht einschläft; ein Roman, der vordergründige ethische Grundsätze in Frage stellt, und dort tiefgründig wird, wo der Leser durch Siesta und Hitze in Trägheit und Sicherheit gelullt wurde. Ein Roman mit unerwartetem Tiefgang.

Der mir sehr gut gefallen hat.
Kategorie: Anspruchsvolle Literatur.
Gute Unterhaltung.
Verlag: Piper, 2018

 

Kommentare

Sursulapitschi kommentierte am 28. Oktober 2018 um 16:13

Fast meine ich, ich möchte es lesen. Möchte ich? 
Sehr sprechende Rezi! 

Emswashed kommentierte am 28. Oktober 2018 um 16:42

Südamerikaner sind immer irgendwie depressiv?? Karneval in Rio vergessen? Tango in Argentinien? Wenn ich im Lotto gewinne, nehme ich Dich in einem klimatisierten Camper mit auf Weltreise... aber tolle Rezi, muss ich zustimmen!

wandagreen kommentierte am 28. Oktober 2018 um 17:05

Mag sein, Ems, aber literarisch sind sie sozusagen immer knapp dem Suizid entronnen - hoffen aber, der Leser würde nicht entrinnen. Nach der Lektüre südamerikanischer Romane willst du deinen Kopf in eine metallene Mülltonne stopfen und aussen drauf rumklopfen.

Steve Kaminski kommentierte am 28. Oktober 2018 um 16:47

Stimmt, Sursulapitschi, die Hand zuckt und will in einem Buchladen zugreifen. Wenn da nicht so viele ungelesene Bücher wären...

wandagreen kommentierte am 28. Oktober 2018 um 17:11

Häuptling Zuckende Hand ist mal wieder unterwegs ...