Rezension

Unerwartet? Umso besser!

Marlenes Erbe -

Marlenes Erbe
von Ina Raki

Bewertet mit 5 Sternen

Susa wohnt schon lange in München und mag das Leben dort eigentlich auch - es ist viel los, ihr gefällt die Atmosphäre und last but not least scharen sich dort ihre engsten Freunde und liebsten Verwandten um sie. An Vertrauten mangelt es also nicht.

Auch wenn es ihr nicht so richtig gut geht: ein bisschen knabbert sie noch an der Trennung vom fiesen Frank, der sie vor Jahresfrist sang- und klanglos verließ und gleich mit einer Neuen (Jünger natürlich) aufwartete. Das weiß sie, weil auch Frank - Jahrelang ihre On-Off-Beziehung - etwas Gutes hinterlassen hat, etwas sehr Gutes sogar. Nämlich wundervolle Verwandtschaft, die nichts lieber tut, als sich mit Susa anzufreunden: seine Tante Marlene, Schneiderin, und sein Vater Albert, Koch und Inhaber der lokalen Gaststätte. Nein, nicht eines hippen Münchner Stadtteils, sondern im verschlafenen Nest Seelhausen. Das liegt in der Nordeifel - schon mal gehört?

Ich als Kölnerin kenne das, aber selbst wenn die Nordeifel ein komplett weißer Fleck auf der Landkarte ist  - sie werden bestimmt mal hinwollen. Und das nicht nur wegen der Nähe zu Belgien, den Niederlanden und Köln.

Denn genau hierher verlegt sich die Handlung nach einem sehr, sehr traurigen Ereignis, das wie so oft im Leben mit etwas Erfreulichem einhergeht: Marlene ist plötzlich verstorben und vermacht Susa all ihre irdischen Güter. Naja, nicht ganz: etwas gibt es noch zu verteilen. Susa, selbst gelernte Schneiderin und Möchtegern-Designerin mit einer in der Schublade liegenden Kollektion nimmt die Herausforderung an und zieht von jetzt auf gleich aus dem mondänen München ins beschauliche Seelhausen.

Beschaulich? Autorin Ina Raki zeichnet auf, dass nicht immer die Dorfbewohner die wahren Hinterwäldler sind, es kommt nämlich auf Herz und auf gesunden Menschenverstand an und darüber - so scheint es - verfügen in Seelhausen ganze Kohorten von Einwohnern - jeder auf seine Art.

Warum die Sache doch noch zu einer Art Krimi wird und wie Susa da rauskommt, das sollten Sie bitte selbst lesen. Denn es lohnt sich unbedingt. Gerade jetzt, an trüben und vielleicht einsamen, als Isolation empfundenen Tagen, ist dieses optimistische Buch genau das Richtige: Es zeigt, dass man nicht unbedingt an einem belegten Ort sein muss, um aus der Einsamkeit herauszukommen: manchmal zeigt sich gerade an abgelegenen Orten das Besondere und Offene. Ein wenig gestört hat mich die Darstellung bzw. Benennung sexueller Vielfalt: stellenweise hatte ich den Eindruck, dass jeder Dorfbewohner in irgendeiner Form queer ist. Das war mir deutlich zu viel - das hätte es nicht gebraucht, um die Toleranz zu unterstreichen. Aber das mag auf jeden Leser subjektiv wirken. Insgesamt ist "Marlenes Erbe" eine richtig tolle Entdeckung!