Rezension

Unerwarteter Tiefgang

The Stranger - Wer bist du wirklich? - Saskia Sarginson

The Stranger - Wer bist du wirklich?
von Saskia Sarginson

Bewertet mit 5 Sternen

Die Handlung beginnt mit zwei Todesfällen: einer ein schrecklicher Unfall, der andere die Folge einer heimtückischen Krankheit. Da in beiden Fällen kein Fremdverschulden vorzuliegen scheint, gibt es auch keinen Grund für Ermittlungen, und die jeweiligen Hinterbliebenen müssen versuchen, mit ihrem Leben so gut wie möglich weiterzumachen.

Eleanor ist die Witwe des Unfallopfers, William. Ein halb vollendeter Brief, eine Tasche mit Frauenkleidung, die sie in seinen Hinterlassenschaften findet, und die Barabhebung einer großen Summe lassen sie daran glauben, dass ihr Mann sie betrog und im Begriff stand, sie zu verlassen. Sie schweigt darüber, denn sie kann sich nicht überwinden, es jemand anderem gegenüber auszusprechen und dem Verdacht dadurch Wahrheit zu verleihen.

Dennoch stehen zunächst nicht Williams Tod, sondern Eleanors Weiterleben und ihr neuer Alltag im Fokus der Ereignisse. Einige Monate vergehen, sie beginnt zaghaft, sich auf eine neue Beziehung einzulassen, als der Fremde auf einmal in ihr Leben tritt…

Die Autorin verwebt mehrere Handlungsstränge auf verschiedenen Zeitebenen geschickt, ohne dass man zu früh erahnen kann, wohin die Reise geht. Jeder, so stellt sich schnell heraus, hat hier seine Geheimnisse. Mal mehr, mal weniger unheilvolle.

Dabei steht der Fremde im Zentrum, weil er in dem eingeschworenen Dorf, in dem Eleanor lebt, vieles verkörpert – vor allem Fremdenhass und Bigotterie. Er ist Rumäne, ehemaliger Trapezkünstler und hat seine Wurzeln im Volk der Roma, und damit ist er in den Augen der Dörfler automatisch verdächtig. Als Eleanor ihm Arbeit und Unterkunft anbietet, zieht sie einen Teil des Zorns und der Angst auf sich, denn sie und ihr Mann waren ohnehin nur ‘Zugezogene’, nicht weit entfernt von Fremden.

»Wir mögen hier keine Ausländer«

Das wird ihr ganz unverblümt gesagt, und als sie darauf nicht wie gewünscht reagiert, wird daraus ‘Keiner will dich hier’. Während die braven Christenmenschen des Dorfes gegen Ausländer wettern, veranstalten sie eine Tombola zugunsten von syrischen Waisenkindern und fühlen sich dabei mildtätig und aufgeschlossen, ohne an ihrer Doppelmoral zu ersticken.

Ich war überrascht davon, was für ernste, gesellschaftskritische Themen in diesem Roman angesprochen werden, aber ich zögere, näher darauf einzugehen, um nicht die ein oder andere Überraschung schon vorweg zu nehmen. Der Autorin gelingt es jedenfalls wunderbar (und ganz ohne erhobenen Zeigefinger!), diese Themen in eine vielschichtige, komplexe Handlung einzubauen, die eines Thrillers würdig ist.

Allerdings ist es die Art von Thriller, die ohne viel Gewalt und Blutvergießen Spannung aufbaut.

Mir hat das sehr gut gefallen – ein Thriller kann für meinen Geschmack gerne auch mal ruhiger oder sogar langsamer verlaufen, ohne dass es langweilig wird. Hier war es die Mischung aus Geheimnis und Gesellschaftskritik, die mich überzeugt hat.

Auch die Charaktere gefielen mir gut, vor allem Elli, aus deren Sicht wir die Ereignisse sehen. Ich konnte ihre Gefühle gut nachvollziehen und ich habe bewundert, sie sie für das einsteht, was sie glaubt. Es wäre für sie viel einfacher gewesen, den Fremden einfach beim ersten Gegenwind rauszuschmeißen.

Gerade die zwiespältigen Charaktere fand ich aber auch gut geschrieben.
Man weiß wirklich lange nicht, wem man trauen kann und wem nicht – dass es die ein oder andere romantische Entwicklung gibt, ändert daran nichts, aber der Zwiespalt sorgt dafür, dass es nicht zu kitschig werden kann.

Der Schreibstil hat mich ebenfalls angesprochen, er ist locker, hat aber viel Atmosphäre und baut auch Spannung auf.

FAZIT

Will verunglückt volltrunken mit seinem Auto. Seine Frau versteht die Welt nicht mehr, denn erstens trank ihr Mann keinen Alkohol, zweitens findet sie in seinen Hinterlassenschaften Frauenkleider und einen angefangenen Brief, der sie glauben lässt, dass er sie für eine andere Frau verlassen wollte.

Aber das Leben geht weiter, irgendwann wagt sie eine neue Beziehung, und dann tritt ein Mann in ihr Leben, der als Ausländer in ihrem Dorf nicht erwünscht ist, und das bringt alles wieder ins Rollen.

“The Stranger” ist ein Thriller ruhigerer Gangart, mit erstaunlich gesellschaftskritischen Themen. Mir hat das sehr gut gefallen, aber ich denke, es kommt darauf an, was man sich von einem Thriller erwartet – Blut, Gewalt und Action machen sich hier eher rar.