Rezension

Unfall? Mord?

Der Fall Kallmann - Håkan Nesser

Der Fall Kallmann
von Håkan Nesser

Bewertet mit 3.5 Sternen

Wer war Eugen Kallmann? Warum musste der beliebte Gesamtschullehrer in der beschaulichen schwedischen Kleinstadt sterben? Wirklich nur ein Unglücksfall, wie die Polizei behauptet? Als sein Nachfolger im Schwedischunterricht, Leon Berger, nach der langen Sommerpause seinen Dienst antritt, findet er im Pult unter Kallmanns Sachen eine Reihe von Tagebüchern, die sich als eine Mischung aus Dichtung und Wahrheit entpuppen und ihn schon bald daran zweifeln lassen, dass sein Vorgänger tatsächlich eines natürlichen Todes gestorben ist. Denn in seinen Einträgen behauptet Kallmann unter anderem, er würde die Gabe besitzen, in den Augen anderer Menschen erkennen zu können, ob sie gemordet haben. Und er scheint in den letzten Monaten seines Lebens einem nie entdeckten und nie gesühnten Verbrechen auf der Spur gewesen zu sein. Leon Berger will den Fall Kallmann lösen – seine privaten Ermittlungen setzen etwas in Gang, das schließlich die ganze Kleinstadt erschüttert.

Nesser schreibt Krimis.

Schreibt Nesser wirklich Krimis? Oder nutzt er ganz einfach das gut verkäufliche Genre und sein Renommee darin, um etwas ganz Anderes zu transportieren?

Das Personal des Buches ist nicht sicher, ob überhaupt ein Verbrechen geschehen ist, ob nicht die unfähigen Ermittler Recht hatten mit Kallmanns Todesursache „Unfall“. Der Leser geht selbstverständlich davon aus, dass ein Mord geschehen ist. Damit hat er zwar Recht, aber alles ist ganz anders als gedacht.

Auch darin ist Nesser groß: Hunderte von Seiten lang und breit eine Geschichte zu erzählen, sie aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten und dann eine Auflösung anzubieten, auf die man nicht kommen kann. Es scheint, als interessiere den Autor die Entwicklung seiner Figuren, die er nahe an der Realität und behutsam schildert, mehr als Verbrechen, Ermittlung und Mörder.

Eine zusätzliche politische Dimension kommt dazu, und der Leser erfährt, dass selbst im dünn besiedelten nordschwedischen Raum das Vorpreschen politisch rechter Gesinnung Sorge bereitet.

Wer Krimispannung erwartet, für den ist die Enttäuschung vorprogrammiert; wer einen ruhigen Schul- und Entwicklungsroman mit Rätseln aus der Vergangenheit, angesiedelt einer kleinstädtischen Region in Nordschweden mag: Zugreifen und lesen.