Rezension

Ungewöhnlich

Der begrabene Riese - Kazuo Ishiguro

Der begrabene Riese
von Kazuo Ishiguro

Bewertet mit 4 Sternen

Ein Fantasy-Roman mit Magie, einer Drachin, Kobolden und einem Ritter aus der Artusrunde von einem Literaturnobelpreisträger? Das ist auf den ersten Blick ungewöhnlich. und wirklich ungewöhnlich ist auch dieses Buch.

Die beiden alten Menschen Beatrice und Axl leben in einem britannischen Dorf des 5. Jahrhunderts. Die Römer sind längst abgezogen und haben nur einige verfallene Bauten hinterlassen, Sachsen und Britannier haben einen Krieg gegeneinander geführt und das Land zerstört. Doch nun ist Frieden eingekehrt, das Vergessen der Vergangenheit liegt wie ein Nebel über dem Land. Als Beatrice und Axl aus ihrem Dorf verstoßen werden, machen sie sich auf die Suche nach ihrem Sohn, den sie schon lange nicht mehr gesehen haben und von dem sie auch nicht wisen, ob und wo er lebt. Irgendwo im Osten, heißt es. Unterwegs begegnen sie verschiedenen Personen und ziehen schließlich mit dem jungen Edwin und dem Krieger Wistan weiter nach Osten.

Der Roman hat mehrere Ebenen, die sehr geschickt ineinander verwoben sind. Da ist zuerst einmal die Fantasygeschichte, die recht spannend ist. Auf einer anderen Ebene geht es um den Umgang mit der Geschichte. Was darf, was muss man vergessen, um mit anderen Menschen in Frieden zusammenleben zu können? Wo ist die Grenze zum Verdrängen, bei dem die schlimmen Erfahrungen nur weggesperrt werden und irgendwann umso schlimmer an die Oberfläche drängen? Ist es eine Gnade vergessen zu können? Aus diesen Überlegungen resultiert auch der Titel des Buches, denn der begrabene Riese ist der Bürgerkrieg, der vor einigen Jahren das Land verwüstete und nun wie ein Phantom das Handeln der Menschen beeinflusst. Wird der Riese eines Tages auferstehen und neue Verwüstungen anrichten? Auf eine rdritten Ebene geht es um die Liebe zwischen den beiden alten Menschen. Kann auch Liebe nur existieren, wenn man vergisst? Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist? Das Schlusskapitel - das hier nicht verraten werden soll - ist ein ganz großes und bewegendes Stück Literatur.

Das Buch ist heute so aktuell wie im fiktiven 5. Jahrhundert, denn Ishiguro stellt universelle Fragen, die uns Menschen auch heute betreffen. Dabei schreibt Ishiguro in einer etwas altertümlichen Sprache, die sehr gut zum Inhalt passt. Das Buch ist nicht immer einfach zu lesen, kein Schmöker, den man mal eben so wegliest, aber die Mühe lohnt sich.