Rezension

Ungewöhnlich und spannend

Als ich jung war - Norbert Gstrein

Als ich jung war
von Norbert Gstrein

Bewertet mit 5 Sternen

Dieser Roman steht auf der Shortlist des Österreichischen Buchpreises 2019.

Franz, der ältere Sohn eines österreichischen Hotelbesitzers, hilft schon frühzeitig mit im Betrieb. So fotografiert er im Sommer die Paare, die im Hotel ihre Hochzeit feiern und hilft im Winter den Skilehrern. Franz verliebt sich eines Tages in ein Mädchen. Kurze Zeit später stirbt eine Braut. War es ein Unfall oder Mord oder Selbstmord? Bald darauf wird Franz vom Vater fort, in die USA geschickt.

Dort landet er in Wyoming, wird zum Skilehrer, obwohl er das nie werden wollte und bleibt für 13 Jahre. Tiefere Bindungen geht er eher nicht ein. Ein älterer tschechischer Professor, "der traurigste Mann auf der Welt" kommt jährlich und möchte nur Franz als Skilehrer, so dass sie über Jahre regelmäßigen Kontakt haben. Doch irgendwann begeht der Professor, während er wieder in seinem jährlichen Skiurlaub weilt, Suizid. Franz muss nicht lange danach, aufgrund von Skiunfällen den Job aufgeben und kehrt verarmt in die Heimat zurück. Dort wird er vorerst von seinem Bruder Victor, der mittlerweile das Hotel führt, (eher ungern) aufgenommen.

Die Milieus in Österreich und Wyoming samt kalter, winterlicher Schnee- und Skiatmosphäre sind stimmungsvoll gezeichnet.

Der Leser erfährt alles aus der Perspektive von Franz, der, wie sich bald herausstellt, allerdings ein sehr unzuverlässiger Erzähler ist. Er wirkt erstmal wie ein recht zielloser, träger, auch leicht irritierbarer Mensch. Stück für Stück kommt man ihm etwas näher.

Der Roman ist durchzogen von seltsamen Vorkommnissen und seltsamen, häufig sehr einsamen Menschen.

Thematisch geht es um toxische oder auch einseitige Beziehungen, um Mann- Frau Beziehungen. Es geht um Missbrauch, um Grenzen und Gewalt, um Macht und Ohnmacht, um Lüge und Wahrheit, um Verdrängung und verzerrte Wahrnehmung. Gerüchte, Halbwahrheiten, Vermutungen, Unklarheiten stehen im Raum. Wie gut kennen wir das Gegenüber? Wo ist das innere "Zentrum des Schweigens, ein Zentrum der Scham", an dass man sich selbst kaum heranwagt?

Tja, was ist das für ein Roman – ein Kriminalroman, ein Spannungsroman, ein psychologischer Roman, eine Milieustudie – von allem etwas. In jedem Fall äußerst spannend und fesselnd erzählt. Auch sehr unterhaltsam.

Vieles wird angedeutet, die Athmosphäre ist oft merkwürdig, manchmal gar gruselig. Seite um Seite wird alles ungeheuerlicher und nimmt andere Formen an, neue Perspektiven tun sich dabei auf. Im Gewahrwerden des Gesamtblicks brachte mich das Ende dann zum Schaudern. Großartig!

Letztendlich bleibt ein offener Deutungsspielraum, bleibt Raum für Spekulationen und Diskussionen.

Fazit: Ein klug geschriebener Roman, über die Geschichten, die nicht erzählt werden.