Rezension

Ungewöhnliche Mischung aus Waterworld und Jugenddrama

Darkiss - Herrscher der Gezeiten - Nichola Reilly

Darkiss - Herrscher der Gezeiten
von Nichola Reilly

Bewertet mit 4 Sternen

Die Umgebung um sie herum besteht nur aus Wasser, das mit jedem Tag mehr zur Bedrohung wird. Der nahe Tod ist unausweichlich für jeden noch verbliebenen Menschen.
Die Frage ist nur, wie lange man überleben wird.

Corvina "Coe" Kettlefish hat nicht gerade den besten Stand auf der kleinen Insel, die die letzte Möglichkeit auf der gesamten Erde zu sein scheint, dem immer höher ansteigenden Meer zu entkommen. Sie weiß, dank ihrer Behinderung wird sie, sobald sie sechzehn wird, eine der unbeliebtesten Arbeiten der Gemeinschaft übernehmen müssen. Und so zur leichten Beute für die Kritzler werden, hinterhältige Fische, die blitzschnell töten können. Nur ihr bester Freund Tiam steht ihr helfend zur Seite.
Doch dann passiert das Unfassbare: Sie erregt die Aufmerksamkeit der Königsfamilie und wird in Geschehnisse hineingezogen, die sie nicht nur in Gefahr bringen, sondern auch ihr gesamtes Weltbild auf den Kopf stellen.

 

 

Auf Herrscher der Gezeiten habe ich mich schon länger gefreut, seit ich den Titel in der Vorschau des Verlags entdeckt habe. Und ich muss sagen, das lange Warten hat sich wirklich gelohnt, selbst wenn mich nicht alles überzeugen konnte.
Die Figuren sind meiner Meinung nach ein Pluspunkt der Dystopie, zumindest die meisten unter ihnen. Nicht alle werden einem sympathisch vorkommen, aber der Autorin ist es toll gelungen, sie nicht zu oberflächlich oder zu leicht durchschaubar zu gestalten. Bis auf Coe, aus deren Perspektive die Geschichte geschrieben ist, rätselt man immer wieder mit ihr über die Motive und Beweggründe der Menschen um sie herum. Obwohl sie auf den ersten Blick so wirken, als könne man sie leicht einschätzen, offenbaren sie nach und nach Seiten von sich, mit denen man so nicht gerechnet hätte, allen voran Prinzessin Star.
Doch es war der Hauptcharakter, der mir am besten gefallen hat: Sie ist keine typische attraktive Heldin, sondern gehandicapt durch ihre fehlende Hand und die Tatsache, dass sie als Kloputzfrau nicht unbedingt den angenehmsten Körpergeruch verströmt. Dennoch steht sie für das mutig ein, was ihr Vater ihr beigebracht hat: Mitgefühl und die Sorge um andere kann als Einziges die Gemeinschaft von Tides erhalten. Dafür kämpft sie und legt sich schon mal mit Stärkeren und Mächtigeren an und lässt sich durch nichts unterkriegen. Und das trotz ihrer starken Selbstzweifel.

 Der Schreibstil ist flüssig zu lesen und typisch jugendlich gehalten, richtig passend zu Coe, welche über sämtliche Ereignisse berichtet. Durch sie entdeckt man die völlig anderen Lebensbedingungen, unter denen sie leiden muss, die trotzdem mit einigen Parallelen zu unserer heutigen Zeit aufwarten. Themen wie gnadenloser Konkurrenzkampf oder die extreme Wichtigkeit einer hohe sozialen Stellung werden in dieser Zukunftsvision drastisch auf die Spitze getrieben, sodass zwischenmenschliche Gefühle zur Gefahr werden können. Das wird auch sehr realistisch an den Protagonisten dargestellt, die erst nach und nach lernen, durch welche Gesten man seine Zuneigung zum Ausdruck bringen kann.
Hinzu kommt das mitreißende Geschehen, über dessen Hintergründe man langsam mehr erfährt, obwohl nicht alle Details geklärt werden und so manches Geheimnis noch im Dunkeln bleibt.
Zu Anfang allerdings ist der Einstieg etwas holprig, bis man sich in diese fremde Welt hineingefunden hat. Auch der eine oder andere Handlungsstrang wirkt von vornherein vorhersehbar und wenig überraschend, was aber der Spannung nicht schadet.

 

Fazit

Mit Herrscher der Gezeiten ist Nichola Reilly eine ungewöhnliche und doch typische Jugenddystopie gelungen. Das wenig alltägliche Setting, das ein bisschen an Waterworld erinnert, die nicht so leicht durchschaubaren Figuren, ein passender Schreibstil und eine spannende Handlung konnten mich von dem Buch sofort überzeugen.
Leider braucht die Geschichte ein paar Kapitel, um richtig in Fahrt zu kommen und das Geschehen ist an gewissen Stellen zu vorhersehbar, um die volle Punktzahl zu vergeben.
Wer aber gute Endzeitstorys mag, sich für toll durchdachte Charaktere begeistern kann und für den eine bedrückende, kaum emotionale Atmosphäre mal was ganz Besonderes ist, der sollte diesen Roman unbedingt lesen.